„Zwischen Einsicht und Erhaltung – Warum radikale Erkenntnis systematisch abgewehrt wird“

Aus Globale-Schwarm-Intelligenz

Die systematische Abwehr radikaler Erkenntnis ist kein individueller Ausnahmefall, sondern ein strukturelles Phänomen der menschlichen Kognition und sozialen Organisation.

Trotz zunehmender Verfügbarkeit wissenschaftlich gesicherter Informationen über ökologische Krisen, soziale Fragmentierung, psychische Belastungen und technologische Kontrollverluste bleibt eine kollektive Transformation weitgehend aus. Die Gründe dafür liegen nicht primär in mangelnder Information oder fehlendem Zugang zu Wissen, sondern in der strukturellen Funktionsweise des Menschen als biologisches, psychisches und kulturelles Wesen.

Aus evolutionsbiologischer Perspektive ist der Mensch auf kurzfristige Gefahrenwahrnehmung und unmittelbare Handlungsoptionen hin optimiert. Langfristige, abstrakte Bedrohungsszenarien, wie sie durch Klimaerwärmung, Systemüberlastung oder soziale Desintegration entstehen, aktivieren keine unmittelbaren Reaktionsmuster. Stattdessen werden sie häufig kognitiv entlastet – durch Relativierung, Projektion oder Externalisierung. Diese Prozesse sind keine bewussten Täuschungsstrategien, sondern Teil eines neuropsychologisch nachvollziehbaren Selbstschutzes, der Komplexität reduziert und kognitive Dissonanz vermeidet.

Gleichzeitig wirken kulturelle Mechanismen stabilisierend auf bestehende Ordnungen. Soziale Institutionen, ökonomische Systeme und politische Strukturen sind auf Erhalt ausgerichtet. Sie reproduzieren bestehende Normen, Werte und Handlungsmuster, auch wenn deren Grundlagen erkennbar destruktiv geworden sind. Radikale Erkenntnis – im Sinne tiefgreifender Infragestellung zivilisatorischer Leitvorstellungen wie Fortschritt, Autonomie oder Eigentum – stellt für diese Systeme eine Gefährdung dar. Sie wird deshalb häufig nicht aufgenommen, sondern abgewehrt oder marginalisiert.

Die Abwehr radikaler Erkenntnis wird zudem durch die Funktionslogik moderner Informationssysteme verstärkt.

Algorithmen der sozialen Medien, wirtschaftliche Logiken der Aufmerksamkeit und kognitive Präferenzmechanismen führen zur Bildung von Filterblasen, Echokammern und Bestätigungsnetzwerken. Die Wahrscheinlichkeit, mit widersprüchlicher oder systemkritischer Information in konstruktiver Weise konfrontiert zu werden, nimmt dadurch tendenziell ab. Stattdessen werden kognitive Sicherheiten gestärkt, vorhandene Überzeugungen verfestigt und Abwehrhaltungen normalisiert.

Hinzu kommt ein epistemologisches Problem:

Radikale Erkenntnis ist selten eindeutig. Sie beruht häufig auf systemischer Komplexität, interdisziplinären Verknüpfungen und der kritischen Reflexion kultureller Selbstverständlichkeiten. Ihre Aussagen sind nicht absolut, sondern kontextuell, oft voraussetzungsreich und erklärungsbedürftig. In einer Gesellschaft, die auf Effizienz, Schnelligkeit und Simplifizierung ausgelegt ist, haben solche Erkenntnisse strukturell geringe Chancen, breite Rezeption zu finden.

Ein weiterer zentraler Punkt ist die psychologische Tiefenstruktur moderner Subjektivität. Das kulturell etablierte Selbstbild als autonomes, rational handelndes und selbstbestimmtes Individuum wird durch radikale Einsicht in Abhängigkeit, Begrenztheit und Mitverantwortung in Frage gestellt. Erkenntnis wird hier zur Zumutung – nicht, weil sie intellektuell unzugänglich wäre, sondern weil sie die Selbstkonstruktion destabilisiert. Diese Destabilisierung wird häufig vermieden, nicht aus Ignoranz, sondern aus psychischem Selbstschutz.

Die systematische Abwehr radikaler Erkenntnis lässt sich daher nicht durch bessere Informationspolitik oder wissenschaftliche Aufklärung allein überwinden. Sie ist nur zugänglich über neue Formen kultureller Selbstvergewisserung, über dialogische Verfahren, die Widerspruch zulassen, über symbolische Praktiken, die Differenz aushalten, und über Bildungsformen, die strukturelle Reflexionsfähigkeit kultivieren.

In diesem Zusammenhang erhält ein Ansatz wie die Weltformel 51:49 besondere Relevanz. Sie beschreibt kein Gleichgewicht, sondern ein strukturelles Spannungsverhältnis, das nicht auf Vollständigkeit oder Eindeutigkeit angewiesen ist, sondern auf Differenz und Rückkopplung. Die Formel erlaubt es, Erkenntnis nicht als statischen Zustand, sondern als dynamischen Prozess zwischen Einsicht und Erhaltung zu verstehen – und genau in diesem Spannungsfeld produktive Veränderung zu ermöglichen.