Titel :Der Mensch im Milieu – Eine Kunst‑Ethologie der Referenzsysteme und Konsequenzen
Einleitung : Der moderne Mensch verweigert sich weitgehend der Frage nach seinem eigenen Sein sowie seiner konditionierenden Struktur. Während einzelne Denker versuchen, Zivilisationskritik zu leisten, dominiert eine kulturelle Nabelschau geistiger Selbstkonstruktionen.
Dies geschieht gepaart mit einem Selbstverständnis von Autonomie und Freiheit, das strukturtheoretisch keine Grundlage besitzt. Der vorliegende Essay entwickelt aus einem systemisch-anthropologischen, ästhetisch-gestützten Menschenbild ein Überlebenskonzept, das auf realer Eingebundenheit in Referenzsysteme und künstlerisches Tun als Lebenspraxis basiert.
1. Der Mensch als systemisch abhängiges Wesen -Der menschliche Organismus operiert innerhalb definierter biologischer Grenzwerte – etwa Körpertemperatur, pH-Wert oder Sauerstoffsättigung. Diese Grenzwerte fungieren als Referenzpunkte: Ihre Überschreitung führt zu Dysfunktion oder Krankheit. Das Ich-Bewusstsein müsste diese Strukturen nicht nur wahrnehmen, sondern in permanentem Rückkopplungsmodus in sittliche, ethische und praktische Entscheidungen übersetzen. In dieser Logik entzieht sich unreflektierte Autonomie der realen Existenzbedingungen.
2. Milieu statt Umwelt – Uexküll als Grenzgänger - Jakob von Uexküll hatte bereits 1920 mit seiner Theoretischen Biologie den Begriff der Umwelt fundiert und ihn radikal anders verstanden: nicht als außenstehende Umgebung, sondern als subjektiv verfasste, wahrgenommene Wirklichkeit, verbunden über den sogenannten Funktionskreis Taylor & Francis Online+7Wikipedia+7Wikipedia+7. Lebewesen gestalten ihre Umwelt durch Wahrnehmung und Handlung – Umwelt ist integraler Bestandteil des Lebewesens selbst. Dein Verständnis kehrt den gängigen Dualismus um: Der Mensch ist nicht in einer Umwelt, sondern ein Produkt und Teil eines Milieus, das ihn strukturiert und formt.
3. Die biologische Erkenntnistheorie Maturana / Varela - Maturana und Varela beschreiben in Der Baum der Erkenntnis Kognition als autopoietischen Prozess, in dem das Lebewesen nicht lediglich reagiert, sondern durch seine Struktur bestimmt, wie es wahrnimmt und handelt Internet Archive+8Wikipedia+8Taylor & Francis Online+8. Sie betonen die soziale Ethik der Gemeinschaft als Strukturvoraussetzung menschlichen Überlebens: Anerkennung Andersdenkender, gegenseitige Verständigung und reflexive Selbstüberprüfung sind essenziell Wikipedia+1Wikipedia+1. Deine Position vollzieht diesen Ansatz weiter, indem du die künstlerische Praxis als Ort nachhaltiger Referenzbildung und Ökologie betrachtet.
4. Einseitigkeit anderer Philosophien – zivilisationskritische Masken - Während Uexküll und Maturana/Varela systemischen Anschluß suchen, verfielen Platon, moderne Naturwissenschaft und politische Ideologien in ein dualistisches Ideal der Perfektion. Sie fordern eine spiegelbildliche Symmetrie, die in der Realität aber nicht existiert. Begriffe wie Gleichheit oder Gerechtigkeit werden als symmetrischer Idealzustand konstruiert, ohne Rückbindung an funktionale Verhältnisse. Sie dienen der Legitimation von Herrschaft und Selbstüberhöhung, ohne auf strukturelle Kohärenz der biologischen oder ökologischen Dynamiken zu zielen.
5. Kunst als Widerstandsstruktur – Techne als Lebenspraxis -Die frühgriechische Kunstgesellschaft verstand Techne nicht als spezialisiertes Handwerk, sondern als Lebensweise: Technik, Wissen, Körper, Ethik und Gemeinschaft waren integrativ verbunden. Maß blieb nicht ein geometrisches Konstrukt, sondern eine vitale Praxis – im Verhältnis 51:49, im goldenen Schnitt, im Harmonieprinzip des Orchesters. Deine Ausführung beschreibt den Menschen als Funktionsteil eines "Orchesters", geleitet vom referenzgebenden Dirigenten. Kunst – Bühne, Requisiten, Rollen – vermittelt Erkenntnis über Widerstand und Verletzlichkeit und wird so zum Trainingsraum für Überleben im Milieu.
6. Fazit: Wege zur Kunstgesellschaft als Überlebensform - Ein Überlebenskonzept muss sich auf das systemische Zusammenspiel von Körper, Bewusstsein, Umwelt/Milieu und künstlerischer Praxis stützen. Autonomie ist ohne Referenz sinnlos, denn sie entkoppelt vom Leben. Technik, Kunst und Ethik sind nicht Additive, sondern integrale Komponenten eines reflexiven Lebensmilieus. Nur eine auf Techne, Gemeinsinn, ästhetische Bildung und systemische Rückkopplung basierende Gesellschaft ermöglicht eine humane, zukunftsfähige Existenzstruktur.
Literaturverzeichnis (Auswahl)
- Uexküll, Jakob von (1920): Theoretische Biologie. Berlin: Paetel Wikipedia+11HathiTrust+11onlinebooks.library.upenn.edu+11
- Uexküll, Jakob von (1909): Umwelt und Innenwelt der Tiere. Berlin: Springer Wikipedia+2Wikipedia+2onlinebooks.library.upenn.edu+2
- Maturana, Humberto R. & Varela, Francisco J. (1987): Der Baum der Erkenntnis. Die biologischen Wurzeln menschlichen Erkennens. München: Goldmann ResearchGate+12Wikipedia+12rosejourn.com+12
- Prigogine, Ilya / Stengers, Isabelle (1984): Order out of Chaos. New York
- Luhmann, Niklas (1990): Ökologische Kommunikation. Opladen
- Sloterdijk, Peter (1999): Regeln für den Menschenpark. Frankfurt/M.
- Plessner, Helmuth (1928): Die Stufen des Organischen und der Mensch
- Serres, Michel (1982): Der Parasit. Frankfurt am Main