(Systemisch-funktionale Begriffsbestimmungen im Rahmen der plastischen Theorie)
Plastizität
Die Fähigkeit eines Systems, sich reversibel und funktional an innere oder äußere Spannungen anzupassen, ohne seine Grundstruktur zu verlieren. Plastizität ist weder Elastizität (vollständige Rückkehr) noch Starrheit (Verweigerung der Verformung), sondern die kontrollierte Veränderung innerhalb funktionaler Grenzen (51:49).
Plastische Differenzkraft
Die aktive Spannung zwischen asymmetrischen Polen (z. B. 51:49), die nicht zur Auflösung drängt, sondern Differenz dauerhaft in Bewegung hält. Sie ist das operationale Grundprinzip lebendiger Ordnung und ermöglicht Funktionieren, Lernen, Entwicklung, ohne Gleichmacherei.
Plastische Membran
Ein dynamischer Übergangsraum zwischen zwei Ebenen oder Funktionen, der selektive Durchlässigkeit, Rückkopplung und Kalibrierung erlaubt. Sie trennt nicht, sondern vermittelt; sie schützt nicht, sondern reguliert; sie ist keine Grenze, sondern ein Verhandlungsraum zwischen Innen und Außen.
Funktionieren
Nicht im technischen, sondern im systemisch-lebendigen Sinn: Die gelingende Tätigkeit eines Systems im jeweiligen Spannungsfeld. Funktionieren ist kein Zustand, sondern ein prozessuales Kalibrierungsergebnis innerhalb asymmetrischer Bedingungen.
Kalibrierung
Der plastische Abgleich eines Systems mit seinen aktuellen Wirklichkeitsbedingungen. Kalibrierung ersetzt den klassischen Wahrheitsbegriff: Nicht Übereinstimmung mit einem Ideal, sondern stimmige Anpassung an funktionale Grenzräume entscheidet über die Gültigkeit einer Handlung oder Struktur.
Verletzlichkeit (Vulnerabilität)
Kein Defizit, sondern konstitutive Bedingung plastischen Lebens. Nur verletzliche Systeme können plastisch reagieren, sich anpassen, lernen. Immunisierung dagegen führt zur Starrheit und systemischen Desintegration.
Skulptur-Identität
Das falsche Subjektmodell der Moderne: Das Ich als abgeschlossene, ideale Form, die sich selbst durch Perfektion kontrolliert. Es entkoppelt sich von seiner plastischen Realität und erzeugt systemische Kipppunkte durch Überstabilisierung.
Plastische Identität
Ein offenes, tätiges Selbstverhältnis, das sich nicht auf ein Idealbild fixiert, sondern sich fortwährend im Prozess der Kalibrierung befindet. Plastische Identität existiert durch Rückbindung an reale Tätigkeiten, nicht durch Vorstellung von Autonomie.
Interferenz
Das plastische Wechselspiel mehrerer Systeme oder Ebenen, das nicht linear kausal, sondern schwingungsbasiert organisiert ist. Interferenzen erzeugen neue Formen, Lösungen oder auch Dysfunktion — je nach Kalibrierungsfähigkeit.
Rückkopplung
Grundprinzip plastischer Erkenntnis und Ordnung. Jede Tätigkeit wirkt auf das System zurück und muss von diesem in Echtzeit verarbeitet werden. Rückkopplung ist Voraussetzung für Lernen, Adaptivität und Stabilität im Wandel.
51:49-Prinzip
Asymmetrische Ordnungslogik, bei der kein Gleichgewicht (50:50), sondern eine leichte Differenz systemische Bewegung erzeugt. Es ist der kleinste stabile Kipppunkt vor der Stagnation, aber auch vor dem Kollaps. Die Differenz wird nicht nivelliert, sondern regulierend produktiv gehalten.
Kipppunkt
Der kritische Schwellenwert, an dem ein System aus seiner stabilen Plastizität in irreversible Desintegration übergeht. Plastisches Denken sucht keine Vermeidung des Kipppunkts, sondern versteht ihn als Grenzphänomen, das bewältigt werden muss.
Membranisches Denken
Ein erkenntnistheoretisches Verfahren, das Übergänge, Durchlässigkeiten und Grenzverschiebungen in den Vordergrund stellt. Es ersetzt kategoriales Denken durch dynamisches Konfigurieren, Trennen durch Vermitteln, Definieren durch Kalibrieren.
Täuschung
Im plastischen Sinn keine Lüge, sondern eine (zeitweise) strategische Verschiebung der Rückmeldung, um funktional zu bleiben. Sie wird destruktiv, wenn sie sich dauerhaft von realer Tätigkeit abkoppelt.
Lebensplastik
Metapher für ein gelebtes Leben, das sich nicht durch äußere Zuschreibungen oder Idealbilder formt, sondern durch tätige plastische Auseinandersetzung mit Realität, Zeit, Verantwortung. Kein abgeschlossenes Kunstwerk, sondern offener Formprozess.