3. Der Mensch als plastisches Wesen
🧬 3. Der Mensch als plastisches Wesen
Im Mittelpunkt der Plattform „Globale Schwarm-Intelligenz“ steht ein neues anthropologisches Verständnis des Menschen – jenseits von Idealbildern, metaphysischen Substanzannahmen und ökonomischen Selbstoptimierungsmodellen.
Der Mensch wird hier nicht länger als autonomes, abgeschlossenes Subjekt begriffen, sondern als plastisches Wesen: verletzlich, rückgebunden, formbar, aber nicht beliebig – ein Körper im Austausch mit seiner Umwelt, ein Prozesswesen im Übergang, ein Organismus unter Bedingungen.
Dieses Denken stellt sich ausdrücklich gegen die lange dominierende Vorstellung vom „selbstbefeuerten Subjekt“ – ein ideologisches Konstrukt, das den Menschen als souveräne, von der Welt abgetrennte Einheit entwirft, ausgestattet mit Vernunft, Kontrolle und Absicht. Die Kritik an dieser Vorstellung nimmt auf dieser Plattform Gestalt an in der Metapher des „Ofens“: jenes janusköpfige Subjekt, das sich gleichzeitig als Quelle und Produkt seiner eigenen Energie begreift, dabei jedoch den systemischen Kontext seiner Befeuerung verdrängt. Der Mensch erscheint hier als Maschine der Selbstverwertung – ein sich selbst optimierendes, simulierendes, funktionalisiertes Wesen, das seine Abhängigkeit von natürlichen, sozialen und körperlichen Voraussetzungen zunehmend ausblendet.
Demgegenüber steht die Konzeption des Menschen als „plastisches Ich“ – nicht im Sinne beliebiger Verformbarkeit, sondern als Ausdruck eines relationalen, lernfähigen, sich entwickelnden Wesens, dessen Identität sich im Austausch mit der Welt bildet. Die Referenzsysteme dieses plastischen Ichs sind nicht nur kulturell und sozial, sondern biologisch, stofflich, funktional: Blutzuckerspiegel, Atemrhythmus, Temperaturregulation oder neuronale Rückkopplungsprozesse sind konkrete, messbare Ausdrucksformen eines Körpers, der im Gleichgewicht nur durch ständige kleine Ungleichgewichte existieren kann – im Sinne des 51:49-Prinzips.
Dieses Modell steht in direkter Opposition zu skulpturalen Denkformen, in denen der Mensch als fertige Form, als repräsentierbares Objekt erscheint. Die Unterscheidung zwischen Skulptur und Plastik wird dabei zum erkenntnistheoretischen Schlüssel: Während die Skulptur auf Reduktion, Idealität und Unveränderlichkeit zielt, steht die Plastik für Prozess, Materialität, Veränderung – für das Werden im Sein. Der Mensch ist in diesem Sinne nicht das Ergebnis, sondern der Austragungsort von Differenz – nicht das Ideal, sondern die Spannung.
Diese anthropologische Perspektive ist unauflöslich mit der Kritik am Symmetriedualismus verbunden: Denn nur in einem asymmetrischen Verhältnis – in der minimalen Verschiebung des Gleichgewichts – kann das Menschliche als Tätigkeitsform, als Erfahrungsprozess und als dialogisches Verhältnis zur Welt verstanden werden. Dabei rückt auch die Grenze in den Fokus: nicht als Linie der Trennung, sondern als Membran, die Austausch ermöglicht. Die Membran ist kein Schutzwall, sondern ein selektives, lebendiges Vermittlungsorgan – biologisch wie erkenntnistheoretisch. Sie erlaubt Differenz, aber verhindert Isolation. Sie markiert die Schnittstelle zwischen Innen und Außen, Ich und Welt, Subjekt und System.
In diesem Zusammenhang wird auch der Begriff von Autonomie neu lesbar: Nicht als Selbstherrschaft, sondern als Fähigkeit zur Antwort – zur Reaktion auf Abhängigkeit, zur Gestaltung von Rückkopplung. Die Plattform lädt dazu ein, diesen erweiterten Autonomiebegriff zu erproben: als lebendige Fähigkeit zur Integration von Spannung, zur Reflexion von Machtverhältnissen, zur Anerkennung des eigenen Eingebundenseins in planetarische, biologische, soziale und symbolische Kontexte.
„Der Mensch als plastisches Wesen“ ist daher nicht nur eine Beschreibung, sondern eine Einladung: zur Anerkennung von Begrenztheit, zur Öffnung für Wandel, zur Entwicklung eines neuen, nicht-idealen, sondern realen, lebendigen Selbstverständnisses.
Ein Selbstverständnis, das nicht auf Abgrenzung, sondern auf Beziehung beruht – und damit auf genau jener minimalen Differenz, die Erkenntnis, Mitgefühl und Handlung überhaupt erst möglich macht.