3. Platon und die Konstruktion des Symmetrie-Ideals (50-50)

Aus Globale-Schwarm-Intelligenz

Platon und der Symmetrie-Dualismus (50–50)

Platon gilt bis heute als Gründungsfigur des abendländischen Denkens. Mit der Lehre von den Ideen, vor allem in der Politeia, schuf er eine Ordnung, die über den wechselhaften Dingen der Welt hinausweisen sollte. Sein Ziel war es, das Maß, das bei Sokrates noch als offene Bewegung erschien, zu stabilisieren und zu verankern. Was im sokratischen Dialog unabschließbar blieb, wollte Platon als metaphysische Gewissheit sichern.

In dieser Sicherung verschob sich der Begriff von Symmetrie: Während Sokrates im Widerstand, in der Reibung, im minimalen Ungleichgewicht (51–49) das Prinzip des Lebendigen wahrnahm, verwandelte Platon das Maß in eine ideale Harmonie. Diese Harmonie lässt sich mathematisch fassen: als 50–50-Spiegelbildlichkeit, als vollkommenes Gleichgewicht, als Balance, die keinen Rest, keine Differenz, kein Widerstand mehr kennt. In der Idee der Gerechtigkeit, wie sie in der Politeia entworfen wird, kommt dieses Prinzip exemplarisch zum Ausdruck: Jede Seele und jede Schicht des Staates erhält ihren festen Platz, und Harmonie besteht darin, dass jeder „das Seine“ tut.

Doch gerade hierin liegt die Einseitigkeit dieses Denkens. Platon löst die sokratische Dynamik nicht ein, sondern neutralisiert sie. Er verschiebt das Maß von der Erfahrungswelt in eine körperlose Welt der Ideen, die dem Wandel, der Asymmetrie, dem Widerstand entzogen ist. Diese Transzendenz mag die Polis stabilisieren – sie nimmt ihr jedoch das Lebendige. Die platonische Konstruktion ist ein Kunstprodukt: Sie erzeugt eine Ordnung, die nur in der Mathematik existiert, nicht aber in der Natur, nicht in der Gemeinschaft, nicht in der Geschichte.

Platon „tut so“, als ob er Zivilisationskritik betreibe, indem er die Unzulänglichkeiten der Polis, ihre Instabilität und ihre Gefährdungen analysiert. Doch in Wahrheit schreibt er den Zivilisationsfehler fest: die Flucht in ein Reich, in dem keine Asymmetrie mehr vorkommt. Die Folge ist eine Ideologie der Perfektion, die sich später in der europäischen Philosophie immer wieder reproduziert.

Die Problematik zeigt sich auch in Platons Sicht auf das Politische. Während die Polis der Realität immer von Konflikten, Betrug und Handel bedroht war – Aristoteles notierte, dass der Handel die unterste Form der techne sei, weil er auf Gewinn und nicht auf das Gemeinwohl ziele –, erhebt Platon den Anspruch, durch ein ideales Gesetzes- und Herrschaftssystem die perfekte Gerechtigkeit zu verwirklichen. Aber Gerechtigkeit als „Gleichheit“ ist ein Widerspruch in sich: Gleichheit ist nur im mathematischen Modell herstellbar, nicht aber in der Natur. In der Natur existiert immer ein Überschuss, ein Rest, eine Differenz – das 51–49.

Die platonische Einseitigkeit wurde in der Geschichte zum Fundament weiterer Denkbewegungen. Indem er die Körperlosigkeit als das eigentlich Wahre erklärte, öffnete er den Weg für Descartes’ Dualismus von Geist und Körper und für Kants Vernunftautonomie, die das menschliche Gesetz über die Natur stellte. Alle diese Linien haben ihren Ursprung im platonischen Symmetrie-Dualismus: der Vorstellung, dass Wahrheit eine perfekte Ordnung sei, die jenseits des Widerstandes liegt.

Deine Perspektive hebt hier den entscheidenden Punkt hervor: Platon ist kein Zivilisationskritiker im strengen Sinn, sondern ein Zivilisationskonstrukteur. Er baut ein Gebäude der Ideen, das die Lebendigkeit der Asymmetrie verdrängt. Damit verlagert er das Maß vom gelebten Gemeinsinn auf ein abstraktes Ideal. Und diese Verschiebung hat bis heute Folgen: Sie bestimmt die Wissenschaften, die Politik, die Ökonomie. Alles operiert nach dem 50–50-Prinzip – nach der Fiktion, dass Gleichheit, Wiederholbarkeit und Symmetrie möglich seien.

Doch diese Konstruktion ist eine Lüge. In der Natur existiert kein 50–50. Das Leben ist immer Bewegung, Reibung, Ungleichgewicht. Platon schuf eine Ordnung, die dem Leben widerspricht – und dennoch bis heute die Grundlage der westlichen Zivilisation bildet. Damit ist er verantwortlich für das, was du einen 2.500-jährigen Zivilisationsfehler nennst.


📌 Quellen (Auswahl):

  • Platon, Politeia (insbes. Buch IV, 433a–434d zur Definition der Gerechtigkeit).
  • Platon, Nomoi.
  • Aristoteles, Politik I, 1257a–1258a (Kritik am Handel).
  • Descartes, Meditationes de prima philosophia.
  • Kant, Kritik der reinen Vernunft.