4.10.2025

Aus Globale-Schwarm-Intelligenz

Der Mensch als Abhängigkeitsknotenpunkt und das Gesetz des 51:49

Der Mensch ist physikalisch betrachtet nichts anderes als ein Abhängigkeitsknotenpunkt. Sein Dasein ist untrennbar eingebettet in die Bedingungen der Natur: in Luft, Wasser, Nahrung, Energieflüsse, Ökosysteme, Raum und Zeit. Diese Ebene der physikalischen Realität ist nicht verhandelbar. Sie entzieht sich menschlicher Deutungshoheit und kultureller Übereinkünfte. Sie ist die objektive Realität – die Wahrheit –, die Welt ohne den Menschen gedacht.

Demgegenüber steht die soziale Realität, die der Mensch im Verlauf seiner Geschichte durch Sprache, Symbole, Abmachungen, Werte und Institutionen hervorgebracht hat. Diese Konstrukte besitzen zweifellos ordnende, orientierende und koordinierende Funktion, doch sie sind von gänzlich anderer Qualität als die physikalischen Grundlagen des Lebens. Sie sind weder naturgegeben noch notwendig, sondern entstanden durch Wahrnehmung, sprachliche Fixierung, kollektive Vereinbarung, kulturelle Tradition und sozialen Glauben. Eigentum, Geld, Gesetze, Nationen, Religionen und Mythen sind Beispiele für solche Konstrukte. Sie sind wandelbar und historisch kontingent – das heißt: sie könnten ebenso gut auch anders sein.

Das grundlegende Missverständnis der Menschheit besteht darin, diese Konstrukte mit Realität gleichzusetzen und sie über die physikalische Ebene zu stellen. Das wird verstärkt durch die Arbeitsweise des Gehirns, das auf den kürzesten Weg ausgerichtet ist, um Ziele zu erreichen. Solange die Konsequenzen menschlichen Handelns nicht unmittelbar spürbar oder widerständig sind, werden sie kognitiv ausgeblendet. Der Mensch beschäftigt sich in solchen Fällen nicht mit den Folgen seiner Handlungen, sondern stabilisiert die Illusion, er könne mit seinen Konstrukten die Wirklichkeit beherrschen.

Daraus erwächst das Allmachtsmissverständnis: Der Mensch handelt, als gehöre ihm die Erde. Er glaubt, er könne mit seinen Gesetzen und Institutionen die Grundlagen des Lebens kontrollieren. Diese kulturelle Selbstermächtigung verführt ihn dazu, die eigenen Lebensbedingungen zu unterminieren.

Die Wurzel dieses Missverständnisses liegt in einem tieferliegenden Denkmodell, das die westliche Kultur seit mehr als 2500 Jahren prägt: der Vorstellung von Symmetrie, Dualismus und Perfektion. In der Philosophie, der Logik, der Mathematik und schließlich auch in den Naturwissenschaften wurde die Welt stets nach dem Muster des Spiegelbildes interpretiert: 50:50 als ideales Gleichgewicht, These und Antithese, Gut und Böse, Materie und Geist. Diese Vorstellung prägt bis heute wissenschaftliche Theorien und legt implizit nahe, dass die Natur durch mathematische Vollkommenheit und exakte Symmetrie beschrieben werden könne. So werden wissenschaftliche Experimente so lange manipuliert, bis sie das gewünschte Ergebnis bestätigen. Deshalb ist Wissenschaft eine Ideologie.

Doch die Natur ist kein starres System von Gleichgewichten, sondern ein dynamisches Verhältnis von Bewegungen und Ungleichgewichten. Ihr Betriebssystem lässt sich eher mit dem Prinzip 51:49 beschreiben: einem minimalen Überschuss, einer plastischen Asymmetrie, die Veränderung, Entwicklung und Leben überhaupt erst ermöglicht. In der Mathematik existiert das perfekte Gleichgewicht – aber die Mathematik ist ein Abstraktionssystem, kein Abbild der physikalischen Wirklichkeit. Sie darf nicht mit Natur selbst verwechselt werden.

Das Gesetz des 51:49 kann daher als Urprinzip des Lebens verstanden werden. Bereits der Urknall war nicht das Resultat vollkommener Symmetrie, sondern einer Dynamik von Überschüssen, Differenzen und Ungleichgewichten. Biologisch zeigt sich das Prinzip in der Arbeitsweise der Zellmembranen, die nur durch permanente Austauschprozesse in instabil-stabilen Ungleichgewichten lebendig bleiben. Auch das Gehirn funktioniert nicht dualistisch nach dem Schema perfekter Gegensätze, sondern durch Reflexionsprozesse, Musterbildung und dynamische Asymmetrien. Die Evolution schließlich ist seit Milliarden Jahren ein Prozess ständiger Anpassung, in dem Organismen immer wieder das Optimum des kürzesten Weges suchen – niemals in perfekter Balance, sondern durch flexible Verschiebungen und plastische Relationen.

Vor diesem Hintergrund erscheint der Mensch selbst als eine evolutionär extrem junge Erscheinung. Im Verhältnis zur Geschichte des Lebens ist er nur wenige Sekunden alt. Mit einem genetischen Unterschied von kaum mehr als einem Prozent zum Schimpansen fehlt dem Menschen jene lange evolutionäre „Erprobung“, die andere Lebewesen über Millionen Jahre durchlaufen haben. Er gleicht einem Neugeborenen, das nach dem Geburtsakt erstmals zum Atmen gebracht wird – tastend, unsicher und verletzlich. Dennoch erhebt er durch seine Konstrukte und Abstraktionen den Anspruch, die physikalische Welt beherrschen zu können. In der Jagdmagie, in der frühen Abstraktionsfähigkeit und in der kulturellen Selbstermächtigung liegt der Ursprung dieser Illusion.

Das eigentliche Problem verschärft sich dadurch, dass der Mensch nicht bereit ist, aus dieser Einsicht zu lernen. Er akzeptiert das Lernen im technischen Bereich: Maschinen, Werkzeuge, Technologien – all dies unterwirft er klaren Maßstäben, Prüfverfahren und Regelwerken. Doch er verweigert das Lernen in Bezug auf seine eigene Abhängigkeit. Er will nicht anerkennen, dass er ein Abhängigkeitsknotenpunkt ist, und zieht es vor, sich in der Schein-Souveränität seiner Konstrukte zu bewegen. Persönlichkeitsrechte, Freiheitsvorstellungen und Gleichheitsideale, die innerhalb der sozialen Realität eine unbestreitbare Bedeutung haben, verstärken dabei die Illusion, der Mensch könne sich durch Deklaration und Gesetzgebung von seinen Abhängigkeiten lösen.

Dieses Freiheits- und Gleichheitsverständnis gründet wiederum auf dem alten Symmetriedualismus. Gleichheit wird als Spiegelbildlichkeit gedacht, Gerechtigkeit als 50:50-Balance. Doch die Natur kennt keine solchen Symmetrien. Sie operiert nach dem Gesetz des 51:49 – durch lebendige Ungleichgewichte, dynamische Asymmetrien, Verschiebungen und Differenzen. Indem der Mensch die Kategorien der Symmetrie auf die physikalische Realität überträgt, verwechselt er Konstrukte mit Wahrheit.

Zusammenfassend lässt sich festhalten:

  • Die physikalische Realität ist nicht verhandelbar. Sie ist die objektive Realität, die Welt ohne den Menschen gedacht.
  • Die soziale Realität ist eine Welt der Konstrukte, die verhandelbar, wandelbar und historisch kontingent ist.
  • Das grundlegende Missverständnis liegt darin, Konstrukte über die physikalische Realität zu stellen und daraus eine Allmachtsphantasie abzuleiten.
  • Dieses Missverständnis hat seine Wurzel in der Illusion der Symmetrie, die seit 2500 Jahren das Denken dominiert, obwohl die Natur nicht durch 50:50, sondern durch 51:49 strukturiert ist.
  • Das Gesetz des 51:49 ist das Urprinzip des Lebens. Es erklärt kosmische, biologische, neuronale und evolutionäre Prozesse anders als klassische Symmetrievorstellungen.
  • Das Lernproblem des Menschen besteht darin, dass er zwar technische Maßstäbe akzeptiert, sich aber weigert, die eigene Abhängigkeit zu akzeptieren – und deshalb kein Lernen auf dieser Grundlage aufbaut.