5.6.2025a
Kapitel 16: Das plastische Ökonomische — Eigentum, Tausch und die Membran der Verwertung
Die ökonomische Ordnung erscheint in den modernen Gesellschaften als ein System rationaler Allokation von Ressourcen, Waren und Leistungen, organisiert durch Märkte, Preise und Verträge. Doch hinter dieser formalen Rationalität verbirgt sich eine plastische Tiefenstruktur, die weniger mit Gleichgewicht als vielmehr mit asymmetrischer Stabilisierung operiert. Wirtschaft ist nicht das neutrale Austauschsystem freier Akteure, sondern ein Membranraum von Differenzprozessen, die systematisch Spannung, Ungleichheit und Exklusion reproduzieren. Auch hier wirkt das 51:49-Prinzip als Formfigur: nicht in mathematischer Balance, sondern in struktureller Asymmetrie, die den Fluss von Wert und Arbeit plastisch organisiert.
Die Grundkategorie der modernen Ökonomie ist Eigentum. Sie definiert exklusiven Zugriff auf Ressourcen, Räume, Produktionsmittel und Leistungen. Eigentum konstituiert keine natürliche Ordnung, sondern eine symbolische Membran: Es trennt den Zugriff von den Ausgeschlossenen, legitimiert Verfügungsrechte und kodiert soziale Differenz. In der Logik des Eigentums erscheint die Welt als Ansammlung verfügbarer Objekte, die dem Eigentümer zur Nutzung und Verwertung offenstehen. Diese Verfügungslogik entspricht exakt dem parasitären Ich-Modell, das sich als Souverän seiner Umwelt imaginiert, obwohl es selbst vollständig in Abhängigkeit von funktionalen Prozessen eingebettet ist.
Der Tausch, die zentrale Operation des Marktes, wird innerhalb dieser Membranordnung als äquivalente Handlung präsentiert. Doch die Äquivalenz des Tausches ist eine juristische und kulturelle Setzung, keine reale Gleichwertigkeit. Jeder Tausch ist asymmetrisch aufgeladen: durch Produktionsvoraussetzungen, Arbeitskraftverhältnisse, Marktmacht, Informationsasymmetrien und soziale Positionierungen. Der Preis fungiert als symbolische Fixierung dieser Asymmetrien, nicht als neutraler Ausdruck eines Gleichgewichtes. Das scheinbar freie Marktgeschehen ist somit ein plastisches Spannungsfeld, das Differenzen nivelliert, während es sie in seinen Grundlagen systematisch reproduziert.
Der kapitalistische Prozess der Akkumulation beruht auf der Verdichtung dieser plastischen Ungleichgewichte. Kapital wächst nicht durch Gleichwertigkeit, sondern durch die asymmetrische Aneignung von Mehrwert, durch Externalisierung von Kosten und durch systematische Entgrenzung von ökologischen und sozialen Membranen. Wachstum bedeutet in dieser Perspektive nicht Fortschritt, sondern die fortwährende Destabilisierung von Gleichgewichtspositionen zugunsten wachsender Konzentration von Eigentum und Verfügungsgewalt. Kapitalistische Ökonomie ist nicht linear produktiv, sondern oszillierend expandierend: ein unaufhörlicher Verschiebungsprozess von Differenzen, die funktional in institutionelle Stabilität umgewandelt werden.
Auch die Arbeit selbst erscheint in diesem plastischen Verständnis nicht als neutraler Leistungsakt, sondern als funktionale Involvierung in asymmetrische Wertschöpfungsketten. Arbeitskraft wird nicht als menschliches Vermögen anerkannt, sondern als kalkuliertes Einsatzmittel. Das Subjekt wird zum Funktionsteil des Kapitals, indem seine Körperlichkeit, Zeit und Lebensenergie in Tauschrelationen eingespeist werden, die von außen normiert und kontrolliert bleiben. Die vermeintliche Freiheit der Arbeitskraft ist die plastisch geronnene Erscheinung einer systemischen Abhängigkeitsstruktur, die sich durch Besitzverhältnisse, institutionelle Rahmungen und kulturelle Dispositive stabilisiert.
Die neoliberale Globalisierung stellt die radikale Ausweitung dieser plastischen Ökonomiedynamik dar. Globale Lieferketten, Finanzmärkte, digitale Plattformökonomien und immaterielle Arbeitsformen verschieben die Membrangrenzen der Verwertung ins Grenzenlose. Nationalstaaten, politische Repräsentation und soziale Sicherungssysteme geraten dabei unter Druck, weil die ökonomische Plastizität sich schneller und aggressiver reorganisiert, als die politischen Institutionen Spannungen aufnehmen können. Die planetare Asymmetrie von Nord und Süd, von Kapital und Arbeit, von Zentrum und Peripherie reproduziert dabei immer schärfere 51:49-Verschiebungen, in denen minimale Gruppen massive Kontrolle über Ressourcen, Kapitalflüsse und Machtmittel akkumulieren, während große Bevölkerungsanteile funktional ausgegliedert oder prekär gehalten werden.
In dieser Perspektive zeigt sich, dass Ökonomie nicht als technisch-neutraler Funktionsbereich verstanden werden kann, sondern als Ausdruck plastischer Grenzarbeit an globalen Membranen der Verwertung. Ökonomie gestaltet soziale, ökologische und politische Räume durch Formprozesse asymmetrischer Spannungsregulation. Die Krise des gegenwärtigen Wirtschaftsmodells ist folglich keine moralische Fehlentwicklung, sondern die systemimmanente Folge eines Membransystems, das Differenzen in immer instabilere Ungleichgewichte verschiebt, bis die Tragfähigkeit der Gesamtstruktur zu erodieren beginnt.
Eine ökonomische Ethik im Sinne des 51:49-Verhältnisses wäre daher keine Rückkehr zur Balance, sondern die plastische Verantwortung für Formverhältnisse, die auf Differenz Rücksicht nehmen, ohne sie in destruktive Ausbeutungslogiken zu überführen. Ökonomische Institutionen müssten dabei als plastisch regulierende Systeme neu gedacht werden: nicht als Eigentumsstrukturen, sondern als Verantwortungsräume funktionaler Teilhabe. Kapital wäre dann nicht Eigentumstitel, sondern formgewordene Verpflichtung auf die Konsequenzen ökonomischer Involviertheit. Arbeit wäre nicht Verwertungsfaktor, sondern plastische Mitgestaltung planetarer Formprozesse. Wachstum wäre nicht Ziel, sondern kontrollierte Spannungserhaltung innerhalb planetarer Belastungsgrenzen.
Die gegenwärtige ökonomische Ordnung offenbart sich somit als eines der zentralen Felder, in denen die Eigentumsfiktion, die Subjektillusion und die Skulptur-Identität des Menschen in ihrer destruktiven Membranlogik wirken. Der Übergang zu einer plastischen Ökonomie wäre keine Reform, sondern ein paradigmatischer Bruch mit der Formgeschichte asymmetrischer Verwertung.