Darstellen vs. Machen in der spätmodernen Subjektform

Aus Globale-Schwarm-Intelligenz

Die spätmoderne Gesellschaft ist geprägt von einer tiefgreifenden Transformation der Subjektivität: Der Mensch versteht sich zunehmend nicht mehr als Handelnder im klassischen Sinne – als jemand, der durch körperlich-sinnliche Tätigkeit Welt gestaltet –, sondern als Darsteller seiner selbst.

Zwischen dem, was ein Subjekt tut, und dem, was es von sich zeigt, öffnet sich ein performativer Raum, in dem das „Ich“ nicht durch Handeln, sondern durch Inszenierung entsteht. Diese Entwicklung markiert eine zentrale Verschiebung: Vom Machen zum Darstellen.

Historisch war das Machen (poiesis, techne) eine grundlegende Form des Weltbezugs. In der Antike galt das Herstellen von Gegenständen – sei es im Handwerk, in der Kunst oder im politischen Handeln – als Ausdruck einer eingebetteten Identität.

Der Mensch war Teil einer Ordnung, in der Bedeutung durch sinnlich-körperliche Tätigkeit entstand (Vernant, 2000). Heute hingegen wird das Machen zunehmend ersetzt durch ein System der Sichtbarkeit: Was zählt, ist nicht mehr das Objekt, das hervorgebracht wird, sondern das Bild, das vom Subjekt entsteht. Die Darstellung verdrängt die Erfahrung des Gestaltens.

Diese Verschiebung wird im Neoliberalismus systematisch verstärkt. Im Zentrum steht nicht mehr der arbeitende Mensch, sondern der „Unternehmer seiner selbst“ (Bröckling, 2007). Das Subjekt wird zum Produkt, das sich selbst vermarktet: optimiert, vergleicht, ausstellt. In dieser Rolle agiert es als Hersteller seiner eigenen Darstellung – nicht mehr als jemand, der etwas macht, sondern als jemand, der sich selbst als Ergebnis macht. Das Machen wird simuliert, seine soziale und materielle Wirklichkeit ersetzt durch eine permanente Selbstperformance.

Damit verändert sich auch die Bedeutung von Identität.

Wer bin ich? Diese Frage wird nicht mehr durch Handlungszusammenhänge beantwortet, sondern durch äußere Repräsentationen: Profile, Plattformen, Selbstaussagen. Das Subjekt wird nicht durch Tätigkeit mit der Welt verbunden, sondern durch Abbild und Vergleich in eine funktionale Ordnung eingepasst. Die Darstellung wird zum Modell, das die Bewertung ermöglicht. Die paradoxe Folge: Das Subjekt wird sich selbst zum Objekt – aber nicht im Sinne reflexiver Erkenntnis, sondern im Sinne marktförmiger Positionierung. Es ist Produzent und Produkt zugleich.

Diese Form der Subjektivierung geht einher mit einer radikalen Entfremdung vom eigenen Körper und vom leiblich-ökologischen Dasein.

Der Mensch inszeniert sich als Eigentümer seines Körpers, als Produzent seines „Ichs“, bis hin zur Illusion, selbst Quelle biologischer Prozesse zu sein. Die Fähigkeit, den eigenen Körper als ein lebendiges, verletzliches und eingebettetes Wesen zu erleben, wird überformt durch das Ideal einer Skulptur-Identität: abgeschlossen, verfügbar, vollständig kontrolliert. Dass der Atem, das Leben selbst, nicht gemacht, sondern empfangen wird, wird kulturell verdrängt – zugunsten eines Totalanspruchs auf Verfügung.

Das eigentliche Paradox liegt darin, dass diese Darstellung des Selbst nicht mehr als Darstellung erkannt wird.

Sie erscheint „authentisch“, „frei“, „individuell“, obwohl sie hochgradig standardisiert, strukturiert und normiert ist. Die Vorstellung, man könne „machen, was man will“, wird zur Legitimation einer Ordnung, in der das tatsächliche Machen – als schöpferische, gemeinschaftliche, weltbezogene Praxis – kaum noch Raum hat. Stattdessen lebt das Subjekt in einem Zustand permanenter Selbstbespiegelung, der Handeln durch Inszenierung ersetzt.

Der Verlust des „Machen-Könnens“ hat tiefgreifende kulturelle, soziale und politische Folgen. Denn Machen bedeutet nicht nur, etwas herzustellen, sondern auch: Verantwortung zu übernehmen, Wirkung zu erzeugen, in Beziehung zu treten. Eine Gesellschaft, in der Menschen kaum mehr die Erfahrung machen, mit eigenen Händen etwas zu schaffen, verliert nicht nur technisches Können – sie verliert das Gefühl für Realität, für Gegenwart, für die Bedeutung des eigenen Tuns. Das Machen verbindet, während das Darstellen abgrenzt.

Die Rückgewinnung einer Kultur des Machens ist daher kein nostalgisches Projekt, sondern eine existenzielle Notwendigkeit. Sie würde bedeuten, wieder zu lernen, wie man lebt – nicht durch Besitz, sondern durch Beteiligung; nicht durch Darstellung, sondern durch Gestaltung. Das bedeutet: wieder zu lernen, einen Stuhl zu bauen, eine Melodie zu erfinden, ein gemeinsames Projekt zu beginnen – und darin nicht nur Funktion, sondern Sinn zu erfahren.


Literaturverzeichnis (APA-Stil)

Bröckling, U. (2007). Das unternehmerische Selbst: Soziologie einer Subjektivierungsform. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Han, B.-C. (2014). Psychopolitik: Neoliberalismus und die neuen Machttechniken. Berlin: Matthes & Seitz.

Vernant, J.-P. (2000). Mythos und Denken bei den Griechen. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Foucault, M. (2004). Geschichte der Gouvernementalität II: Die Geburt der Biopolitik (M. Sennelart, Hrsg.). Frankfurt am Main: Suhrkamp.