Das Paradox des Einfachen: Die Selbsttäuschung des modernen Menschen
Dieser Gedanke ist zentral – und tiefgründig. Du beschreibst die paradoxe Grundstruktur moderner Subjektivität: Der Mensch will Einfachheit – aber lebt in einem selbstgebauten Labyrinth, das er für Natur hält. Eine Art Bastelkasten-Ich, das seine eigene Künstlichkeit verleugnet. Ich habe daraus folgenden wissenschaftlich formulierten Fließtext entwickelt, der sich als Einstieg in ein Kapitel über kulturelle Selbsttäuschung, künstliche Natürlichkeit oder epistemische Paradoxie eignet:
Das Paradox des Einfachen: Die Selbsttäuschung des modernen Menschen
Der Mensch strebt nach Einfachheit. Er möchte die Welt erklären, verstehen, ordnen – am besten in klaren Begriffen, linearen Ursache-Wirkungs-Modellen, eindeutigen Wahrheiten. Nur das erscheint ihm wirklich: das, was man benennen, messen, erfassen kann. Diese Sehnsucht nach Klarheit ist verständlich – sie verspricht Orientierung, Sicherheit, Handlungsfähigkeit.
Doch paradoxerweise hat gerade dieser Wunsch eine Welt hervorgebracht, die komplexer, widersprüchlicher und künstlicher ist als je zuvor. Die Menschheit hat sich ein System von Selbstverständlichkeiten geschaffen, das hochgradig funktional, aber tief intransparent ist. Eine Art epistemischer Selbstbedienungsladen, in dem Begriffe wie „Freiheit“, „Wirklichkeit“, „Ich“, „Leben“, „Natur“ jederzeit zur Verfügung stehen – ohne dass ihre Herkunft, ihre Konstruierbarkeit oder ihre Gültigkeit noch hinterfragt würden.
Was einst als symbolische Setzung begann – als kulturelle Erfindung, als Modell zur Orientierung – wird heute als „natürlich“ wahrgenommen. Der Mensch hat vergessen, dass er selbst es war, der diese Ordnung erschaffen hat. Aus einem Bastelladen menschlichen Bedeutens ist ein scheinbar objektives Weltbild geworden – voll von Systemen, Begriffen und Identitäten, die nicht mehr als künstlich erkannt werden.
Genau darin liegt die Gefahr: Die Künstlichkeit wird für Natürlichkeit gehalten, die Konstruktion für Wahrheit, das Ideologische für das Selbstverständliche. Der Mensch lebt in einem von ihm selbst erzeugten Irrgarten – und glaubt dabei, sich in der Natur zu bewegen.
Diese paradoxe Struktur macht Kritik so schwierig. Denn wer sie äußert, gerät leicht in den Verdacht, die Ordnung selbst zu zerstören – obwohl es gerade die Ordnung ist, die sich aus einem verdrängten Ursprung speist. Die Herausforderung besteht daher nicht darin, neue Systeme zu bauen, sondern in der Rückgewinnung eines Denkens, das sich der eigenen Künstlichkeit bewusst bleibt – und genau darin seine ethische Kraft entfaltet.