Denken als Einlassen – Maßbildung im Übergang
Denken als Einlassen – Maßbildung im Übergang
Denken beginnt nicht mit Wissen, sondern mit dem Mut, sich auf das Unbekannte einzulassen. Es ist kein Sichern, kein Festhalten, kein Kontrollieren – sondern ein Loslassen vertrauter Ordnungen. Wer wirklich denkt, verlässt das Allgemeinverständliche. Erst in diesem Verzicht, in der Bereitschaft, ohne feste Begriffe auszukommen, entsteht ein Raum, in dem neue Maßverhältnisse überhaupt wieder sichtbar werden können.
Dieser Zwischenzustand – zwischen dem Verlust des Alten und der Möglichkeit des Neuen – ist nicht bequem. Er ist verletzlich, tastend, fragil. Und doch ist er notwendig, wenn Denken mehr sein soll als Wiederholung. Es geht nicht darum, die Welt neu zu erfinden. Sondern darum, sich so lange dem zu entziehen, was als selbstverständlich gilt, bis ein anderes Maß spürbar wird: ein Maß, das nicht von außen gesetzt wird, sondern aus dem Verhältnis selbst entsteht.
Erkenntnis in diesem Sinne ist keine bloße Einsicht. Sie ist ein Prozess der Maßbildung – ethisch, leiblich, situativ. Sie wird möglich, wenn wir bereit sind, vorübergehend auf Ordnung zu verzichten, um sie auf einer tieferen Ebene neu zu gewinnen: nicht als System, sondern als Haltung.