Der Mensch als Funktionsteil plastischer Stoff- und Prozesskreisläufe
Ausgehend von der Einsicht, dass der Mensch ein Kohlenstoffwesen ist, ergibt sich ein grundlegender Perspektivwechsel: Kohlenstoff ist kein „menschlicher“ Stoff, sondern ein zirkulierendes Element, das fortlaufend zwischen verschiedenen Organisationsformen wechselt. Derselbe Kohlenstoff kann zuvor Bestandteil eines Baumes, eines Tieres oder eines Mikroorganismus gewesen sein und wird nach dem menschlichen Lebensabschnitt erneut in andere Kontexte eingehen. Der Mensch erscheint damit nicht als Ursprung oder Besitzer von Stoffen, sondern als zeitlich begrenzter Funktionszusammenhang innerhalb übergeordneter Kreisläufe.
Diese Sichtweise lässt sich im Rahmen eines plastischen, leicht asymmetrischen 51:49-Modells fassen: Stabilität entsteht nicht durch statische Gleichgewichte, sondern durch fortlaufende minimale Verschiebungen zwischen Tätigkeit und Konsequenz sowie zwischen Abhängigkeit und Wirkung. Der Mensch lebt und existiert innerhalb dieser plastischen Rückkopplungsgefüge als Funktionsteil, nicht als autonomes Zentrum.
Kohlenstoff als paradigmatisches Beispiel
Kohlenstoff eignet sich besonders, um dieses Funktionsdenken zu verdeutlichen. Seine chemische Vielseitigkeit ermöglicht die Bildung komplexer Moleküle, ohne dass er an eine bestimmte Lebensform gebunden wäre. Pflanzen integrieren Kohlenstoff durch Photosynthese, Tiere und Menschen übernehmen ihn über Nahrung, und durch Atmung, Zersetzung oder Verbrennung kehrt er in andere Umweltzustände zurück. Entscheidend ist nicht der Stoff an sich, sondern die jeweilige Funktion, die er in einem bestimmten Tätigkeits-Konsequenz-Gefüge übernimmt. Der Mensch ist in diesem Sinne eine Durchgangsform des Kohlenstoffs.
Weitere stoffliche Funktionsbeispiele
Ein analoges Verständnis zeigt sich bei Wasser. Wasser war und ist Eis, Flüssigkeit, Dampf, Bestandteil von Zellen, Blut oder Wolken. Seine Bedeutung liegt nicht in einer festen Identität, sondern in seiner Fähigkeit, Transport, Lösung und Energieaustausch zu ermöglichen. Auch hier ist der menschliche Körper lediglich eine temporäre Organisationsform innerhalb eines umfassenden Wasserkreislaufs.
Sauerstoff verdeutlicht die plastische Asymmetrie besonders deutlich. Er ermöglicht Atmung und Energiegewinnung, führt aber zugleich zu Oxidation und Zersetzung. Tätigkeit und Konsequenz fallen nicht symmetrisch zusammen, sondern erzeugen eine dauernde Spannung, die Leben überhaupt erst möglich macht. Der Mensch ist dabei nicht der Maßstab, sondern ein Mitvollzug dieser Prozesse.
Stickstoff zeigt, dass Lebensnotwendigkeit strikt kontextabhängig ist. Als Gas in der Atmosphäre ist er biologisch weitgehend inaktiv, als gebundener Bestandteil von Aminosäuren und Proteinen jedoch unverzichtbar. Seine Funktion wechselt zwischen Luft, Boden, Pflanze, Tier und Mensch. Auch hier ist der Mensch kein Endpunkt, sondern eine Übergangsstation im Kreislauf.
Calcium und Eisen überschreiten zusätzlich die Grenze zwischen sogenannter unbelebter und belebter Materie. Calcium wandert von Gestein über Korallen oder Muscheln in Knochenstrukturen, Eisen von kosmischen Prozessen über Erz und Werkzeug bis in das Hämoglobin des Blutes. Diese Beispiele zeigen, dass die Trennung von Natur, Technik und Biologie nicht stofflich begründet ist, sondern funktional konstruiert wird.
Energie und Elektronen als nicht-stoffliche Durchgänge
Neben Stoffen lassen sich auch Energie und Elektronen als funktionale Durchgänge begreifen. Sie fließen durch Sonnenprozesse, Pflanzen, Nervensysteme und technische Apparate, ohne jemals Eigentum eines einzelnen Systems zu werden. Ihre Wirksamkeit entsteht ausschließlich im Vollzug, im Übergang und in der Rückkopplung. Damit verdeutlichen sie besonders klar ein Tätigkeitsverständnis ohne Subjektzentrum.
Konsequenzen für ein plastisches Menschenbild
Aus dieser Perspektive ergibt sich ein Menschenbild, das nicht auf Identität, Besitz oder Autonomie gründet, sondern auf Einbindung. Der Mensch ist kein abgeschlossenes Sein, sondern ein Geschehen innerhalb plastischer 51:49-Gefüge. Verantwortung entsteht nicht aus einer behaupteten Sonderstellung, sondern aus der Einsicht in Abhängigkeiten und Rückkopplungen. Der Mensch ist damit ein Knotenpunkt zeitlich begrenzter Funktionen, eingebettet in Stoff-, Energie- und Prozesskreisläufe, die ihn weit übersteigen und zugleich erst ermöglichen.
