Der Mensch muss lernen zu kämpfen, nicht gegen die Natur

Aus Globale-Schwarm-Intelligenz

Der Mensch im Kampf um Plastizität – Für eine gestaltbare Gemeinsinn-Gesellschaft

Die gegenwärtige Zivilisationsstruktur beruht auf einem systematischen Konstruktionsfehler: Der Mensch wird in symbolische Selbstmodelle gezwungen, die ihn von seiner plastischen, rückgebundenen Lebensform entfremden.

Die westliche Erkenntnistradition – in ihrer idealistischen Linie von Platon über Descartes bis hin zur neoliberalen Subjektkonstruktion – hat ein Menschenbild hervorgebracht, das auf Kontrolle, Autonomie und Skulpturhaftigkeit basiert. In diesem Bild erscheint das Subjekt als statisch, abgeschlossen, unberührbar – als „Skulptur-Identität“, die nicht mehr in der Lage ist, funktional auf Veränderung zu reagieren. Diese ideologischen Formate des Ichs – etwa in Bildungsstandards, politischen Idealen, wirtschaftlichen Rollenbildern – produzieren nicht nur individuelle Erschöpfung, sondern auch strukturelle Asymmetrien: Der Mensch wird in einem System funktional gehalten, das seine Plastizität unterdrückt, weil nur auf dieser Grundlage Führerschaft, Kontrolle und Gewinnmaximierung gesichert werden können.

Der Mensch ist in diesem Sinne nicht länger ein organisch eingebundenes, verletzliches Wesen, sondern ein Objekt asymmetrischer Systemgestaltung – er befindet sich im Widerstand gegen das Leben selbst.

Seine Entfremdung von der Rückkopplung führt zu einer Immunisierung gegenüber Realität: Institutionen und gesellschaftliche Praxen „tun so, als ob“ – sie simulieren Offenheit, Gerechtigkeit, Verantwortlichkeit, ohne dass diese symbolischen Werte funktionale Rückmeldestrukturen aufweisen. Die politische Ethik, das Bildungswesen, die Rechtsordnung: Alle operieren mit Repräsentationen, die sich von der leiblich-ökologischen Rückbindung gelöst haben. Das Ergebnis ist eine Kultur der Maßlosigkeit – nicht im Sinne individueller Hybris, sondern strukturell erzeugter Übersteuerung. Der Verlust des Maßes, des metron, ist die zentrale Diagnose dieser Zivilisationsform.

Demgegenüber steht der Vorschlag eines paradigmatischen Perspektivwechsels: Der Mensch muss lernen zu kämpfen – nicht gegen die Natur, sondern für die Rückgewinnung seiner Plastizität.

Plastizität bedeutet hier nicht bloße Anpassungsfähigkeit im Sinne systemischer Verwertbarkeit, sondern die tätige Fähigkeit zur Rückkopplung, zur Gestaltung, zur Resonanz mit tragenden Verhältnissen. Der Ausgangspunkt dieses Kampfes ist erkenntnistheoretisch: Erkenntnis muss wieder als leiblich-situierte Überlebensfunktion verstanden werden, nicht als symbolische Souveränitätsgeste. Sie ist nicht Ausdruck geistiger Autonomie, sondern Ergebnis eines funktional rückgebundenen Systems – getragen von Stoffwechsel, Atmung, Zeit und sozialer Koordination.

Daraus ergibt sich ein anderes anthropologisches Selbstverständnis. Der Mensch ist kein autonomes Subjekt, sondern ein plastischer Knotenpunkt im Feld dynamischer Rückwirkungen. Seine Handlungsspielräume ergeben sich nicht aus Normen oder Zielen, sondern aus der Fähigkeit zur Maßarbeit im Verhältnis. In dieser Perspektive gewinnen die vormodernen Konzepte von Metis (situativer Klugheit), Techne (tätiger Weltbearbeitung) und Gemeinsinn (soziale Rückbindung) neue Relevanz: Sie bilden die epistemisch-ethischen Grundlagen einer gestaltbaren Gesellschaft, die sich nicht an Idealen, sondern am Tragbaren orientiert.

Diese Grundlagen lassen sich in konkreten gesellschaftlichen Feldern fruchtbar machen: In der Bildung durch ein Lernen, das nicht standardisiert, sondern plastisch strukturiert ist; in der Sozialgestaltung durch eine Praxis der minimalen Intervention und des funktionalen Verhältnisses; in der Politik durch eine Ethik der Resonanz, die Macht als Spannungsarbeit und nicht als Durchsetzungslogik versteht. Alle drei Felder eint der Versuch, das Maß zurückzugewinnen – nicht als moralische Instanz, sondern als funktionale Bedingung für Überleben, Wahrnehmung und Handlungsfähigkeit.

Der Kampf um Plastizität ist daher kein romantisches Ideal, sondern eine zivilisatorische Notwendigkeit. Er erfordert die Revision epistemischer Fundamente, den Bruch mit der Skulptur-Identität und die Rehabilitierung des Verletzlichen. Nur wer sich rückbindet, kann tragfähig werden. Und nur wer das Maß wiederfindet, kann sich im Verhältnis zur Welt erhalten – nicht als Herr über sie, sondern als Teil eines tragenden Zusammenhangs.