Die hier vorgestellte Theorie versteht sich als funktionale Anthropologie,
Über das Paradox des Symmetriedualismus, die Täuschung des Super-Individuums und die Rückkehr des Gemeinsinns durch Kunst – das 51:49-Prinzip als fundamentale Umcodierung des Menschseins
Wir stehen an einem Wendepunkt der Menschheitsgeschichte. Die ökologischen, sozialen, psychischen und technologischen Krisen, die sich heute global überlagern, sind nicht das Ergebnis isolierter Fehlentwicklungen, sondern Ausdruck eines strukturellen Grundirrtums: Der Mensch lebt in einem tiefen Paradox. Als verletzbarer, thermisch gebundener, biologischer Organismus ist er vollständig in die physikalische Realität eingebettet – stofflich, energetisch, abhängig von Klima, Nahrung und Rückkopplung. Und doch hat dieser Organismus eine Welt hervorgebracht, die sich von diesen Bedingungen zunehmend entkoppeln will: eine zweite Welt, aufgebaut auf Symbolen, Technologien, Kontrollsystemen, die den Anschein erwecken, unabhängig, übergeordnet, unverwundbar zu sein.
Dieses Phänomen markiert eine radikale Abweichung im evolutionären Prozess.
Der Mensch ist das einzige bekannte Lebewesen, das die Fähigkeit entwickelt hat, nicht nur über sich hinaus zu denken, sondern reale Rückbindung durch Simulation zu ersetzen. Er kompensiert seine Verletzbarkeit durch Konstruktionen – ökonomische Systeme, Städte, Maschinen, Algorithmen –, die nicht auf unmittelbare Rückkopplung, sondern auf Kontrolle, Projektion und Perfektion beruhen. Aus dieser Konstruktionslogik entstehen Strukturen, die scheinbar Stabilität versprechen, in Wahrheit jedoch die Grundlagen des Lebendigen zunehmend zerstören. Der Mensch entwickelt Modelle der Souveränität, während er zugleich die physische, ökologische, neuronale und soziale Rückbindung seiner Existenz unterminiert.
Genau hierin liegt das Paradox des Symmetriedualismus: Die westliche Zivilisation hat sich auf einem Denken aufgebaut, das Wirklichkeit in binäre Gegensätze aufspaltet – Geist und Materie, Freiheit und Natur, Kultur und Körper. Dieses Ideal des Gleichgewichts – das 50:50-Modell – zieht sich durch Philosophie, Wissenschaft, Politik und Kunstgeschichte. Doch was als Harmonie intendiert war, erweist sich als erkenntnistheoretischer Konstruktionsfehler. Denn Leben basiert nicht auf Symmetrie, sondern auf Differenz: auf minimalen Ungleichgewichten, die Dynamik, Spannung und Entwicklung ermöglichen. Die moderne Physik kennt dieses Prinzip als „broken symmetry“, Biologie und Neurowissenschaften zeigen es im Verhalten von Organismen: Rückkopplung, nicht Kontrolle, ist die Steuerungsinstanz des Lebendigen.
Hier setzt das von mir entwickelte Verhältnisprinzip 51:49 an.
Es beschreibt kein festes Maß, sondern eine strukturelle Asymmetrie, die Stabilität nicht durch Balance, sondern durch Spannung aufrechterhält. Der Mensch ist nicht frei im metaphysischen Sinn, sondern rückgekoppelt – ein funktionales System, dessen Handlung über Tätigkeit, Konsequenz und neuronale Anpassung geregelt wird. Moderne Neurowissenschaften belegen dies eindrücklich: Das Striatum moduliert Verhalten über Belohnungsfeedback, DEB-Modelle zeigen energetische Rahmenbedingungen biologischer Prozesse. Es ist die Rückmeldung – nicht die Absicht –, die Erkenntnis erzeugt. Freiheit, Selbst, Authentizität sind narrative Konstruktionen, keine real-kausalen Wirkfaktoren.
Und doch: Der Mensch ist mehr als eine Maschine. Er ist – im tiefsten Sinn – ein Kunstwerk.
Nicht als ästhetisches Objekt, sondern als prozesshafte Formung im Widerstand. In jedem Tätigkeitsvollzug, der an Material, Konsequenz, Irritation gebunden ist, formt sich ein Mensch, der nicht autonom, aber verantwortlich ist. Nicht souverän, aber empfindungsfähig. Nicht perfekt, aber tragfähig. Diese Formung ist kein geistiger Entwurf, sondern eine leiblich-energetische Praxis: wie jede künstlerische Arbeit entsteht sie nicht aus Sicherheit, sondern aus Unsicherheit, aus dem Nichtwissen, aus dem Tasten im Material.
Kunst ist daher kein dekorativer Nebenschauplatz, sondern das epistemische Modell lebendiger Weltbeziehung.
Sie operiert nicht mit Idealen, sondern mit Differenz; nicht mit Wahrheit, sondern mit Formprozessen. Kunst steht für eine Praxis des Erkennens, die auf Scheitern, Korrektur und Loslassen basiert. In dieser Haltung liegt die Möglichkeit, dem destruktiven Symmetriedualismus zu entkommen – nicht durch Rückkehr zur Natur, sondern durch bewusste Integration der Rückkopplungsstruktur des Lebendigen in Denken, Handeln und Gestalten.
Die gesellschaftlichen Konsequenzen dieser Neuorientierung sind tiefgreifend.
Wenn wir weiterhin versuchen, den Kontrollverlust mit neuen Kontrollsystemen zu kompensieren, riskieren wir nicht nur ökologische Kipppunkte, sondern auch einen Zusammenbruch des demokratischen Gemeinsinns. Der Ruf nach Autorität, die Reduktion von Komplexität auf Binarität, die Erosion des Sozialen – all das sind Symptome eines Denkmodells, das sich im Modus der Beherrschung, nicht der Rückbindung bewegt. Was als Ordnung erscheint, ist in Wahrheit eine strukturelle Entfremdung vom Lebendigen.
Diese Plattform versteht sich daher nicht als Ort der Dogmatik, sondern als Raum für ein neues, offenes Denken – ein Denken in Verhältnissen, nicht in Absoluten. Sie versammelt Beiträge, Modelle, Impulse und Werkzeuge, die auf der 51:49-Theorie basieren. Sie lädt dazu ein, das eigene Weltverhältnis zu prüfen, über künstlerisches Handeln, über Rückkopplungserfahrung, über kritischen Vergleich mit Hilfe künstlicher Intelligenz. Nicht um Wahrheit zu finden, sondern um Wirklichkeit besser zu tragen. Jeder Mensch kann hier – durch Frage, Irritation und Antwort – zum „spielenden Wissenschaftler“ werden.
Die Kunstgesellschaft, die wir vorschlagen, ist keine Utopie.
Sie ist eine Überlebensstrategie. Denn nur dort, wo Differenz praktiziert wird, wo Rückmeldung nicht als Störung, sondern als Möglichkeit erkannt wird, kann Neues entstehen. Kunst – als tätige Erkenntnisform – wird zur sozialen, kognitiven und ethischen Ressource: für Resilienz, für Verbundenheit, für Verantwortung.
Es ist Zeit für ein neues Denken. Nicht jenseits der Welt, sondern in ihr. Nicht gegen den Körper, sondern mit ihm. Nicht als Flucht aus der Realität, sondern als bewusste, tätige, gestaltende Rückbindung an das, was ist – und das, was möglich wird, wenn wir beginnen, im Verhältnis zu leben.
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