Erweiterung des Motivfeldes: Utopie, Modellwelt und Entkopplung von Rückkopplung

Aus Globale-Schwarm-Intelligenz

Mit Futurum Zwei (Walden Two, 1948) von B. F. Skinner tritt ein weiterer, für den Gesamtkontext zentraler Text hinzu. Skinner entwirft keine klassische literarische Erzählung, sondern eine experimentelle Modellwelt, in der menschliches Verhalten vollständig über Konditionierung, Planung und funktionale Steuerung organisiert ist. Der Mensch erscheint hier nicht mehr als autonomes Subjekt, sondern als optimal regulierbares Element eines Systems. Entscheidend ist, dass diese Ordnung sich selbst als rational, konfliktfrei und nachhaltig versteht, ihre eigene Setzung jedoch nicht mehr infrage stellt. Rückkopplung wird technisch simuliert, aber nicht existenziell zugelassen. Damit steht Futurum Zwei exemplarisch für eine symbolisch-funktionale Utopie, in der Leben zwar organisiert, aber nicht mehr offen vollzogen wird.

Platonisches Höhlengleichnis: Ursprung der symbolischen Selbstverwechslung

Platons Höhlengleichnis markiert einen frühen Ausgangspunkt dieses Denkens. Die Gefangenen verwechseln Schattenbilder mit Wirklichkeit. Entscheidend ist jedoch weniger die Unterscheidung von Schein und Wahrheit als die strukturelle Setzung: Wahrheit wird als etwas gedacht, das außerhalb des Vollzugs liegt, als ideale Form. Die sinnlich-leibliche Welt erscheint defizitär. In der hier entwickelten Perspektive ist dies der Beginn einer skulpturalen Ontologie, in der Realität zugunsten abstrakter Ordnung entwertet wird. Das Höhlengleichnis begründet damit eine lange Tradition der Abwertung von Rückkopplung zugunsten symbolischer Reinheit.

Schrödingers Katze: Beobachtung statt Prozess

Das Gedankenexperiment der Katze von Schrödinger steht paradigmatisch für die Spannung zwischen symbolischem Modell und realem Prozess. In der quantenmechanischen Beschreibung existiert der Zustand als Überlagerung, solange keine Beobachtung erfolgt. Übersehen wird dabei häufig, dass die Katze selbst ein lebendiger Stoffwechselprozess ist, kein abstraktes Zustandsobjekt. Das Experiment macht sichtbar, wie theoretische Modelle dazu neigen, lebendige Prozesse in symbolische Zustände zu verwandeln. Die reale Rückkopplung des Lebens wird dem Modell untergeordnet.

Russells kosmische Teekanne: Entkopplung von Bewährung

Bertrand Russells Beispiel der kosmischen Teekanne illustriert eine weitere Form symbolischer Entkopplung. Aussagen werden so formuliert, dass sie prinzipiell nicht widerlegbar sind. Wahrheit wird damit vollständig vom Wirklichkeitsbezug gelöst und in den Bereich reiner Setzung verschoben. In Bezug auf das Menschenbild entspricht dies einer Existenzweise, in der symbolische Behauptung an die Stelle von Bewährung in Rückkopplung tritt. Wahrheit wird immunisiert, Leben irrelevant.

Weitere Beispiele in derselben Linie

George Orwells 1984 beschreibt eine Welt, in der Wahrheit ausschließlich durch symbolische Macht definiert wird. Sprache, Erinnerung und Realität werden systematisch voneinander getrennt. Der Mensch verliert seine Rückkopplung mit Erfahrung und Körperlichkeit und existiert nur noch als Träger offizieller Bedeutungen. Die Folge ist nicht Stabilität, sondern totale Fragilität des Lebens.

Aldous Huxleys Brave New World zeigt eine andere Variante derselben Problematik. Hier wird Leid vermieden, indem Rückkopplung ausgeschaltet wird. Emotionen, Konflikte und Bindungen werden chemisch und sozial reguliert. Die Welt ist stabil, aber nicht lebendig. Huxley beschreibt damit eine perfekte Skulptur-Gesellschaft, deren Existenzfähigkeit nur durch permanente Kontrolle aufrechterhalten wird.

Stanislaw Lems Solaris führt den Konflikt auf epistemologischer Ebene weiter. Die Wissenschaftler projizieren ihre symbolischen Modelle auf einen Planeten, der sich diesen Modellen entzieht. Lem zeigt, dass Erkenntnis scheitert, wenn sie nicht bereit ist, ihre eigenen Kategorien plastisch zu verändern. Der Mensch bleibt gefangen in seinen Abstraktionen.

Philip K. Dicks Werk – insbesondere Do Androids Dream of Electric Sheep? – thematisiert die Ununterscheidbarkeit von Mensch und Maschine, sobald Leben über funktionale Kriterien und symbolische Tests definiert wird. Empathie wird messbar, Identität operationalisiert. Dick macht sichtbar, dass ein solches Menschenbild seine eigene Grundlage verliert.

Systematische Einordnung im Gesamtkontext

In Einbeziehung der vorherigen Texte ergibt sich eine durchgehende Linie: Von Platon bis zur modernen Science-Fiction wird immer wieder eine Welt entworfen, in der symbolische Ordnung, Modellbildung oder Kontrolle an die Stelle realer Rückkopplung treten. Diese Entwürfe variieren zwischen Philosophie, Literatur, Wissenschaft und Utopie, folgen jedoch derselben Struktur. Der Mensch wird als Form, Zustand oder Funktion gesetzt, nicht als plastischer Vollzug.

Allen Beispielen ist gemeinsam, dass sie – explizit oder implizit – die Grenze dieser Setzung sichtbar machen. Entweder kippt die Ordnung in Gewalt, Leere oder Selbstzerstörung, oder sie muss durch permanente Kontrolle stabilisiert werden. Damit bestätigen sie aus unterschiedlichen Richtungen die zentrale Einsicht des plastischen 51:49-Verständnisses: Lebensfähigkeit entsteht nicht aus perfekter Ordnung, sondern aus offener Rückkopplung, Verletzlichkeit und der Bereitschaft, symbolische Konstrukte immer wieder am realen Vollzug zu messen.