Frühe literarische Beschreibung des Grundkonflikts

Aus Globale-Schwarm-Intelligenz

Im vorliegenden Zusammenhang wird insbesondere Hermann Hesses Werk als frühe, existenzielle Beschreibung desselben Grundkonflikts gelesen, der hier theoretisch als Gegensatz zwischen plastischer Identität (51:49) und skulpturaler Identität (50:50) gefasst wurde. Zentral sind dabei vor allem Demian (1919) und Der Steppenwolf (1927). Beide Texte thematisieren keinen biologischen Dualismus, sondern einen inneren Konflikt zwischen symbolisch fixierter Ordnung und gelebter, widersprüchlicher Prozesshaftigkeit. Hesse beschreibt die Zerrissenheit eines Menschen, der sich an einer festen, moralisch kodierten Identität orientiert und zugleich an der realen Dynamik des Lebens leidet. Die Krise entsteht nicht aus Vielheit an sich, sondern aus dem Versuch, diese Vielheit in eine geschlossene Form zu zwingen. Damit formuliert Hesse literarisch früh das Problem einer skulpturalen Selbstverabsolutierung, die ihre eigene Lebensfähigkeit untergräbt.

Weitere Schriftsteller mit vergleichbarer Doppelidentität

Auch andere Schriftsteller haben diesen Konflikt zwischen symbolischer Formidentität und prozesshaftem Vollzug in unterschiedlichen historischen und kulturellen Kontexten bearbeitet. Bei Fjodor Dostojewski zeigt sich die doppelte Identität besonders deutlich. Figuren wie Raskolnikow in Schuld und Sühne oder der namenlose Erzähler in Aufzeichnungen aus dem Kellerloch leben im Spannungsfeld zwischen rationaler Selbstsetzung, moralischen Konstrukten und einer leiblich-existentiellen Wirklichkeit, die sich diesen Konstruktionen widersetzt. Dostojewski legt offen, wie abstrakte Selbstbilder und ideologische Rechtfertigungen in innere Zerrüttung und Selbstzerstörung führen, wenn sie von realer Rückkopplung abgelöst sind.

Franz Kafka radikalisiert diesen Konflikt, indem er die symbolische Ordnung selbst zum dominanten, entmenschlichenden System macht. In Der Prozess und Das Schloss existieren die Figuren fast ausschließlich innerhalb abstrakter Regelwerke, bürokratischer Zuschreibungen und unzugänglicher Autoritäten. Der leibliche Mensch bleibt zwar vorhanden, verliert jedoch jede wirksame Rückkopplung zur Ordnung, in der er lebt. Kafkas Texte zeigen damit eine Existenzform, in der symbolische Konstrukte vollständig von funktionalen Lebenszusammenhängen entkoppelt sind und der Mensch nur noch als formale Größe erscheint.

Robert Musil thematisiert in Der Mann ohne Eigenschaften eine ähnliche Problematik. Die Hauptfigur Ulrich verkörpert eine Identität, die sich nicht mehr festlegen will oder kann. Musil analysiert eine Gesellschaft, die sich über abstrakte Ideale, statistische Gleichheiten und symbolische Ordnungen definiert, während reale Konsequenzen ausgeblendet bleiben. Die daraus entstehende „Eigenschaftslosigkeit“ ist keine Freiheit, sondern Ausdruck einer strukturellen Entleerung des Subjekts.

Auch Thomas Mann setzt sich wiederholt mit dieser doppelten Identität auseinander. In Der Zauberberg stehen rational-humanistische Ordnungsvorstellungen einer existenziellen Erfahrung von Zeit, Krankheit, Körperlichkeit und Tod gegenüber. Der Mensch wird hier nicht als stabile Einheit gezeigt, sondern als Wesen, das zwischen symbolischer Selbstdeutung und leiblich-zeitlicher Realität oszilliert. Die Krise entsteht aus der Unfähigkeit, diese Ebenen produktiv zu integrieren.

Systematische Einordnung

Gemeinsam ist diesen literarischen Positionen, dass sie den Menschen nicht als konsistentes, abgeschlossenes Subjekt darstellen, sondern als Spannungsfeld zweier inkompatibler Selbstverständnisse. Auf der einen Seite steht eine symbolische, formale Identität, die Ordnung, Autonomie und Eindeutigkeit verspricht. Auf der anderen Seite steht eine existenzielle, leiblich-zeitliche Wirklichkeit, die widersprüchlich, verletzlich und rückgekoppelt ist. Literatur wird hier zum Ort, an dem die Folgen einer Entkopplung sichtbar werden, lange bevor sie theoretisch oder systemisch beschrieben werden.

In Einbeziehung der vorherigen Texte lässt sich festhalten: Diese Autoren beschreiben literarisch denselben Grundkonflikt, der im plastischen Modell als Gegensatz zwischen skulpturaler Unverletzlichkeitsfiktion (50:50) und plastischer Rückkopplung (51:49) formuliert wurde. Sie zeigen, dass menschliche Existenz dort in die Krise gerät, wo symbolische Ordnung an die Stelle realer Lebensvollzüge tritt, und dass Lebensfähigkeit an die Anerkennung von Prozesshaftigkeit, Abhängigkeit und Konsequenz gebunden bleibt.