Globale Schwarmintelligenz – Eine Kritik am anthropozentrischen Zivilisationskonzept.
Der Begriff Zivilisationskritik bezeichnet die systematische Auseinandersetzung mit den negativen Folgeerscheinungen zivilisatorischer Entwicklung, insbesondere der Moderne (Wikipedia, 2025a). Historisch richtete sich diese Kritik gegen als „unrichtig“ empfundene Werte, gesellschaftliche Missstände oder destruktive Verhaltensweisen.
Die Vorstellung, der Mensch sei ein autonomes, selbstbestimmtes Wesen, das unabhängig und rational über sich, die Welt und andere Lebewesen verfügt, ist kein Naturgesetz, sondern ein kulturell gewachsenes Konstrukt.
Es geht zurück auf eine abendländische Zivilisationstradition, die vor rund 2500 Jahren mit Platon ihren symbolischen Ursprung nahm. Dort etabliert sich ein Denken in binären Gegensätzen, in perfekter Symmetrie (z. B. Geist/Körper, Gut/Böse, Natur/Kultur), das sich über Jahrhunderte hinweg als Grundlage der westlichen Ontologie, Erkenntnistheorie und Wissenschaftsauffassung durchgesetzt hat.
Diese sogenannte „50:50“-Logik suggeriert eine Ordnung, die in Wahrheit eine ideologische Konstruktion ist. Sie dient dazu, Natur zu bändigen, Komplexität zu reduzieren und Herrschaft zu legitimieren – sei es durch Rationalität, Technokratie oder Marktideologie. In diesem System wird der Mensch zum Zentrum aller Weltbedeutung erhoben, was letztlich den Weg bereitet für eine kulturelle Entfremdung von Natur, Körper und Gemeinschaft. Diese anthropozentrische Selbstüberhöhung gipfelt im modernen Allmachtsanspruch des Menschen, die Erde zu beherrschen, zu organisieren und technisch zu optimieren – oft unter dem Deckmantel von Wissenschaftlichkeit und Fortschritt.
Gemessen an einer planetaren Zeitskala jedoch ist der Mensch eine Randerscheinung.
Die biologische Verwandtschaft zum Schimpansen ist nicht nur genetisch nachweisbar, sondern auch kulturkritisch relevant: Während andere Spezies sich über Millionen Jahre stabil in das planetare Ökosystem integrierten, stellt der Mensch als „Spätgeborener“ mit gerade einmal zwei evolutionären Sekunden auf der „Weltenuhr“ einen hochgradig instabilen, zerstörerischen Faktor dar. Seine Systeme – politische, ökonomische, wissenschaftliche – beruhen nicht auf Nachhaltigkeit, sondern auf der Illusion von Kontrolle.
Diese Illusion wird gestützt durch eine symbolisch aufgeladene Ordnungssprache: Begriffe wie „Individuum“, „Neutralität“, „Selbstbestimmung“ oder „Eigentum“ erscheinen selbstverständlich, obwohl sie kulturell, historisch und ideologisch stark vorgeprägt sind. In ihrer Summe erzeugen sie ein trügerisches Bild vom Menschen als souveränem Subjekt. Tatsächlich aber ist der Mensch immer schon eingebettet in Referenzsysteme – physikalische, ökologische, soziale –, die ihn nicht nur bedingen, sondern durchdringen.
In dieser Hinsicht ist der Körper keine autonome Einheit, sondern ein Durchgangsorgan planetarer Prozesse.
Seine Existenz ist untrennbar verknüpft mit der Gesamtheit der biosphärischen und zivilisatorischen Bedingungen. Jeder einzelne Mensch steht damit in kausaler Beziehung zu acht Milliarden anderen – eine Realität, die durch globale Krisen wie Klimawandel, Pandemien oder Migrationsbewegungen drastisch sichtbar wird. Verantwortung ist in diesem Kontext keine ethische Option, sondern eine systemische Notwendigkeit.
Vor diesem Hintergrund entwickelte ich das Modell einer „plastischen Philosophie“, die sich vom klassischen Ordnungsdenken absetzt. Anstelle der symmetrischen 50:50-Struktur tritt ein asymmetrisches Verhältnis von 51:49, das Dynamik, Spannung und Wandel als Grundbedingungen des Lebens versteht. Dieses Verhältnis steht für ein Denken, das nicht auf Ausgleich, sondern auf lebendige Bewegung zielt – für ein Weltverständnis, das Prozessualität höher bewertet als Perfektion, Relationalität statt Absolutheit, Offenheit statt Idealisierung.
Die Plattform Globale Schwarmintelligenz, an der ich seit über 30 Jahren konzeptionell arbeite (beginnend mit dem „Globalen Dorffest“ 1993), ist Ausdruck dieser Haltung. In ihr manifestiert sich ein integratives Denkmodell, das digitale Werkzeuge (u. a. KI-gestützte Textvergleiche), künstlerische Praxis, gesellschaftliche Analyse und philosophische Position zu einem interaktiven Gesamtkunstwerk verbindet. Es versteht sich nicht als Datenbank oder Wiki-Alternative, sondern als offener Denkraum für kulturelle Selbstbefragung und kollektive Verantwortung.
Das Konzept der „Schwarmintelligenz“ wird dabei nicht naiv affirmiert, sondern transformiert. Die Plattform ist kein Ort für Konsensbildung, sondern für plastisches Denken in Differenz. Sie stellt sich gegen die Idee neutraler Objektivität (wie etwa Wikipedia sie propagiert), indem sie erkennt: Jede Form von Wissensgenerierung ist situiert, verkörpert und interessengeleitet. Das Ziel ist daher nicht Wahrheit im Sinne einer Letztbegründung, sondern Klarheit im Sinne einer bewussten Filterung symbolischer Machtstrukturen.
Mein künstlerisch-philosophisches Anliegen besteht darin, den symbolischen Boden, auf dem unsere Zivilisation steht, aufzuweichen, um neue Formen der Welterkenntnis zu ermöglichen. Es geht nicht um eine bessere Ordnung, sondern um eine beweglichere, die den Menschen nicht als Herrscher, sondern als verantwortlich Verbundenen neu denkt. Damit stellt mein Ansatz eine kritische Alternative zur bestehenden Wissens-, Körper- und Naturauffassung dar – mit dem Ziel, den Zivilisationsfehler zu erkennen, offenzulegen und plastisch zu überwinden.