III. Kunst und Wissenschaft im Dialog
1. Ganzheitliche geistige und naturwissenschaftliche Forschung
Wolfgang Fenners Werk ist geprägt von der Überzeugung, dass Kunst und Wissenschaft nicht getrennt voneinander betrachtet werden können. Beide Disziplinen sind Ausdruck der menschlichen Fähigkeit, die Welt zu verstehen und zu gestalten. Eine ganzheitliche Forschung verbindet Geisteswissenschaften, die den menschlichen Geist und seine Kreativität erforschen, mit den Naturwissenschaften, die die physischen Gesetze und Strukturen der Welt untersuchen.
- Ganzheitliche Forschung bedeutet, die Trennung zwischen diesen beiden Welten aufzuheben und eine integrative Sichtweise zu entwickeln. Fenner argumentiert, dass nur durch die Verbindung von intellektueller und kreativer Auseinandersetzung nachhaltige und umfassende Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit gefunden werden können.
- Die Wechselwirkungen zwischen Geist und Materie, zwischen den abstrakten Ideen und den konkreten Naturgesetzen, stehen im Zentrum dieser Forschung. Das Ziel ist es, ein tieferes Verständnis der Welt zu erlangen, das nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch umsetzbar ist.
Fenner stellt sich hier auf die Schultern von Denkern wie Goethe und Joseph Beuys, die beide die Einheit von Kunst und Wissenschaft betonten. Es geht darum, die Forschungsfelder der Physik, Biologie, Philosophie und Kunst in ein gemeinsames Modell der Erkenntnis zu integrieren, das die kreativen Potenziale des Menschen ebenso fördert wie sein Verständnis der Natur.
2. Capella-Orkan und die Auseinandersetzung mit der Natur
Ein zentrales Ereignis in Fenners künstlerischer und wissenschaftlicher Entwicklung war der Capella-Orkan von 1976, der zu einem verheerenden Deichbruch führte. Dieses Naturereignis ließ Fenner die rohe Kraft der Natur auf eindringliche Weise erleben und wurde zum Ausgangspunkt seiner intensiven Auseinandersetzung mit den Kräften der Natur.
- Der Deichbruch symbolisiert die Unkontrollierbarkeit der Natur und das Scheitern menschlicher Ingenieurskunst im Angesicht dieser Kräfte. Die Natur, in Form von Wellen und Strömungen, unterspült den Deich und überwindet die von Menschen gesetzten Grenzen.
- Dieses Ereignis inspirierte Fenner zu seiner künstlerischen Forschung und den Experimenten mit Wellenbecken. Er modellierte die Bewegungen des Wassers und entwickelte daraus seine eigene Sprache der Wassergrammatik. Die Wellen repräsentieren die dynamischen Kräfte der Natur, die nicht einfach gezähmt oder kontrolliert werden können, sondern denen man sich anpassen muss, um nachhaltige Lösungen zu entwickeln.
Die Lektion des Capella-Orkans ist, dass menschliche Systeme nur dann langfristig stabil sein können, wenn sie die Naturgesetze respektieren und sich an die dynamischen Prozesse der Umwelt anpassen. Die Natur lässt sich nicht in starre Formen zwängen, und der Mensch muss lernen, mit den Kräften der Natur im Dialog zu stehen, anstatt sie zu beherrschen.
3. Künstlerische Forschung: Synergie und Strömung
Die Idee der Synergie spielt eine zentrale Rolle in Fenners Arbeit. Sie bezieht sich auf die Wechselwirkungen und Verbindungen zwischen verschiedenen Kräften und Elementen, die gemeinsam mehr bewirken können als die Summe ihrer Teile.
- Fenners Experimente mit Strömungen im Wellenbecken zeigten, wie verschiedene dynamische Prozesse ineinandergreifen und sich gegenseitig beeinflussen. Diese Forschung ist eine Metapher für die Art und Weise, wie verschiedene Disziplinen – Kunst, Wissenschaft, Technik – zusammenarbeiten müssen, um komplexe Probleme zu lösen.
- Die Strömungen des Wassers sind für Fenner nicht nur physikalische Phänomene, sondern auch Ausdruck eines tieferen Verständnisses von Verbindungen und Fließgleichgewichten in der Natur. Sie symbolisieren die Art und Weise, wie alles in der Welt miteinander verknüpft ist und wie der Mensch in diesen Kreisläufen eingebunden ist.
Die künstlerische Forschung ermöglicht es, die unsichtbaren Kräfte der Natur sichtbar zu machen. In der Auseinandersetzung mit Synergien und Strömungen versucht Fenner, die Prinzipien zu erfassen, die das Leben auf der Erde formen und erhalten. Es ist eine Suche nach dem Unsichtbaren im Sichtbaren, nach den Kräften, die die physikalische Realität durchdringen und unser Leben bestimmen.
4. Integration von Kunst und Wissenschaft für Nachhaltigkeit
Für Fenner ist die Integration von Kunst und Wissenschaft nicht nur eine philosophische Notwendigkeit, sondern auch ein praktischer Weg, um eine nachhaltige Zukunft zu gestalten. Er sieht Kunst als das Medium, durch das wissenschaftliche Erkenntnisse in einer Weise vermittelt werden können, die emotional und intuitiv erlebbar ist.
- Wissenschaft vermittelt oft harte Fakten und Theorien, aber Kunst bringt diese Fakten in einen menschlichen Kontext. Sie macht die Konsequenzen der wissenschaftlichen Entdeckungen für das menschliche Leben spürbar. Diese Verbindung ist besonders wichtig, wenn es darum geht, ökologische und soziale Verantwortung zu fördern.
- Kunst hat die Kraft, Bewusstsein zu schaffen und Menschen zum Handeln zu motivieren. Sie kann die Notwendigkeit einer nachhaltigen Lebensweise auf eine Weise kommunizieren, die rationalen Argumenten oft verschlossen bleibt. In Fenners Arbeit wird dies durch das Zusammenspiel von Wissenschaft und künstlerischer Praxis deutlich, insbesondere in seinen Experimenten mit den Kräften der Natur und seinen Projekten zur Umweltgestaltung.
Durch die künstlerische Visualisierung von wissenschaftlichen Prinzipien und naturgesetzlichen Prozessen fordert Fenner dazu auf, die Welt nicht nur mit dem Kopf zu begreifen, sondern auch mit dem Herzen. Diese Integration ist entscheidend, um nachhaltige Lösungen für die globalen Herausforderungen unserer Zeit zu entwickeln.
5. Techne und das Opus Magnum: Die menschliche Schöpfungskraft
Der Begriff Techne ist in Fenners Arbeit ein Schlüssel zur Verbindung von Kunst und Wissenschaft. Wie bereits erwähnt, bezieht sich Techne auf das künstlerische Handwerk, aber es bedeutet auch das Wissen um die Naturprozesse und die Fähigkeit, mit ihnen im Einklang zu arbeiten.
- In Fenners Konzept des Opus Magnum – des großen Werks – drückt sich die menschliche Schöpfungskraft aus, die im besten Fall mit den Naturgesetzen harmoniert. Das Opus Magnum ist eine Metapher für das Lebenswerk, das jeder Mensch vollbringen kann, wenn er sich bewusst mit seiner Umwelt und seinen kreativen Fähigkeiten auseinandersetzt.
- Diese Schöpfungskraft ist nicht nur auf künstlerische Arbeiten beschränkt, sondern umfasst jede Handlung, die der Mensch unternimmt, um seine Existenz in der Welt zu gestalten. In Fenners Werk wird das Opus Magnum zur Vision einer nachhaltigen und verantwortlichen Gesellschaft, in der Menschen im Einklang mit den Kräften der Natur und den Erkenntnissen der Wissenschaft handeln.
Techne und das Opus Magnum stehen für die Rückkehr zu einer kreativen Lebensweise, die die Trennung zwischen geistiger und physischer Welt überwindet. Der Mensch wird zum Schöpfer seiner eigenen Zukunft, wenn er sich der Verantwortung für seine Handlungen bewusst wird und beginnt, im Dialog mit den natürlichen Kräften zu arbeiten, anstatt sie zu ignorieren oder zu unterdrücken.
Ziel des Kapitels
Dieses Kapitel verdeutlicht die zentrale Bedeutung der Integration von Kunst und Wissenschaft in Fenners Arbeit. Es zeigt, wie künstlerische und wissenschaftliche Forschung zusammenwirken können, um ein tieferes Verständnis der Natur und der Rolle des Menschen in der Welt zu entwickeln. Fenner fordert dazu auf, die Schöpfungskraft des Menschen zu nutzen, um eine nachhaltige und verantwortliche Zukunft zu gestalten – im Einklang mit den Kräften der Natur.