Institutionalisierte Gerechtigkeit – Kritik eines strukturellen Trugschlusses.
Die Idee von Gerechtigkeit, wie sie in westlichen Gesellschaften tradiert und institutionell verwaltet wird, beruht auf einer strukturellen Täuschung: Sie simuliert Neutralität, Maß und Gleichbehandlung, während sie de facto auf systematischer Asymmetrie basiert.
Das Rechtssystem – von Gesetzgebung über Polizei bis zur Gerichtsbarkeit – operiert nicht im Modus offener Rückkopplung, sondern in einem formalisierten 100:0-Urteilssystem.
Es kennt keine graduelle Relation, sondern setzt auf binäre Codierung: schuldig/unschuldig, legal/illegal, erlaubt/verboten. Der Einzelne wird nicht als plastisch eingebundenes Subjekt verstanden, sondern als isolierbare Fallinstanz innerhalb eines algorithmisch verwalteten Textkörpers.
Der strukturelle Trugschluss liegt darin, dass man vorgibt, Gleichheit herzustellen, wo tatsächlich nur Gleichförmigkeit herrscht – eine Prozedurengleichheit, die weder situative Wahrheit noch relationale Gerechtigkeit kennt.
Institutionalisierte Gerechtigkeit abstrahiert vom Lebendigen, sie kalkuliert, normiert, kategorisiert. In diesem Sinne agiert sie als System, das sich selbst referenziert und die Wirklichkeit nur durch seine eigenen Operationen erkennt – ein Erkenntnisverfahren, das weniger auf Wahrheit als auf Bestätigung des Vorhandenen ausgerichtet ist.
Ein anschauliches Beispiel hierfür ist die Polizeipraxis: Sie beansprucht, für Sicherheit und Ordnung zu sorgen, basiert jedoch häufig auf kategorialer Vorannahme von Gefahr – etwa durch Racial Profiling oder algorithmische Risikobewertungen.
Ähnliches gilt für die Legislative, deren Gesetze zwar den Anspruch auf Allgemeinheit erheben, aber in ihrer faktischen Ausgestaltung sozioökonomische Asymmetrien zementieren.
Auch Gerichte arbeiten nicht mit Maßverhältnissen, sondern mit normierten Strafrahmen, die suggerieren, jeder Fall lasse sich objektiv, regelkonform und abschließend beurteilen.
Dieser institutionelle Umgang mit Gerechtigkeit entkoppelt sich von der realen Lebenswelt, in der Situationen niemals eindeutig, Menschen nie vollständig gleich und Wahrheit niemals endgültig ist.
Die Weltformel 51:49 fordert ein anderes Verständnis: Gerechtigkeit entsteht nicht aus idealer Symmetrie, sondern durch plastische Relation – ein Neigen zur einen Seite unter Achtung der anderen. Gerechtigkeit ist nicht das Ergebnis von Verfahren, sondern das Resultat eines dynamischen Aushandelns im Verhältnis.
Im Lichte des 51:49-Prinzips erscheinen die bestehenden Institutionen als rückkopplungsarme Systeme: Sie verdrängen Abweichung, Individualität und situative Ambiguität zugunsten von Standardisierung. Damit erzeugen sie strukturelle Gleichgültigkeit – nicht als böser Wille, sondern als Funktionsweise. Der Trugschluss liegt im System selbst: Es tut so, als könne man Gerechtigkeit durch Regeln erzwingen, obwohl Gerechtigkeit immer Beziehungsarbeit ist.
Ein alternativer Zugang zur Gerechtigkeit müsste das plastische Prinzip zur Grundlage machen: keine starre Regelorientierung, sondern ein sich bewegendes Maß.
Keine Skulptur, sondern ein lebendiges Verhältnis. Der Mensch als Maßstab bedeutet nicht Willkür, sondern Eingebundenheit – die Fähigkeit zur Resonanz, zur Revision, zur Rückmeldung. Institutionen, die sich diesem Maß verschließen, verlieren nicht nur ihre Legitimität, sondern auch ihre Funktion: Sie verlernen das Gedeihen. Nur wer im Modus der Revision lebt, bleibt gerecht.