Kapitel 2: Die Plastische Identität

Aus Globale-Schwarm-Intelligenz

Die plastische Identität stellt den begrifflichen Gegenentwurf zur Skulpturidentität dar.

Während letztere den Menschen in eine symbolische Unverletzlichkeitswelt erhebt, versteht die plastische Identität das Ich-Bewusstsein als in dynamische Prozesse eingebettet. Sie gründet nicht auf Konstrukten, sondern auf Rückkopplungen, Widerstand und der Auseinandersetzung mit Tätigkeitskonsequenzen.

Das plastische Ich-Bewusstsein ist im Kern ein Referenzsystem. Es operiert nicht in statischen, symmetrischen Ordnungen, wie sie der klassische Dualismus des 50:50-Schemas vorgibt, sondern in einem leicht asymmetrischen Verhältnis von 51:49. Diese minimale Verschiebung ist entscheidend: Sie hält Prozesse in Bewegung, ermöglicht Entwicklung und bewahrt Systeme davor, in Erstarrung oder Auflösung zu verfallen. Die plastische Identität lebt von dieser prekären Balance, die immer neu hergestellt werden muss.

In diesem Verständnis ist das Gehirn nicht primär ein Konstruktionsapparat, sondern ein Organ, das Widerstände verarbeitet. Es lernt aus Rückkopplungen und integriert Tätigkeitsfolgen in seine Funktionsweise. Denken und Handeln bilden keinen hermetischen Symbolraum, sondern ein offenes Wechselspiel, in dem Erfahrungen aus Scheitern und Gelingen fortlaufend verarbeitet werden. Damit unterscheidet sich die plastische Identität fundamental von der Skulpturidentität: Sie ist mit der Arbeitsweise des Gehirns kompatibel, insofern diese sich an Widerständen und Grenzen ausrichtet.

Die plastische Identität ist daher nicht statisch, sondern prozessual. Sie kann als ein elastisches Gewebe beschrieben werden, das sich zwischen Minimum und Maximum spannt. Innerhalb dieser Grenzen entfalten sich Freiheit, Autonomie und Kreativität. Jenseits dieser Zone entstehen Kipppunkte, an denen Systeme kollabieren oder sich transformieren. Die plastische Identität ist also eine permanente Auseinandersetzung mit der Frage: Funktioniert ein Prozess oder funktioniert er nicht?

Anthropologisch bedeutet dies, dass der Mensch nicht durch die Konstruktion symbolischer Welten bestimmt ist, sondern durch seine Fähigkeit, in Widerstandspotenzialen zu leben und diese produktiv zu gestalten. Der Mensch als plastisches Wesen ist Künstler im ursprünglichen Sinn der griechischen techne: Er lernt im Tätigsein, im Training, in der Auseinandersetzung mit Material, Form und Grenze. Tugenden, Maß und Gemeinsinn entstehen hier nicht aus abstrakten Idealen, sondern aus der Praxis, die immer wieder durch Rückkopplung überprüft wird.

In dieser Perspektive wird auch die Selbstzerstörung, die der Mensch in seiner Skulpturidentität betreibt, anders verständlich. Sie erscheint als Folge des Abbruchs der Rückkopplung. Die plastische Identität hingegen kennt die Möglichkeit des Scheiterns und integriert sie als notwendige Bedingung von Entwicklung. Widerstand ist hier kein Hindernis, sondern die Grundlage von Lebendigkeit.

Die plastische Identität öffnet damit den Weg zu einer neuen Anthropologie: Der Mensch ist nicht mehr Herrscher über eine symbolische Parallelwelt, sondern Teil eines dynamischen Referenzsystems, das ihn ebenso formt, wie er es formt. Seine Existenz ist kein statisches Sein, sondern eine plastische Bewegung, die im Verhältnis von 51:49 balanciert.