Meine Begrifflichkeiten im Gesamtkontext erklärt und vorgestellt in seiner Anwendungsmöglichkeiten.
(körperlose/unverletzliche Welt, Skulpturidentität,künstlich-körperlos / Unverletzlichkeitswelt, plastische Identität = eingepasst in die Verletzungswelt; Ich-Bewusstsein nur im Referenzsystem mit Rückkopplung an Tätigkeitskonsequenzen; 50:50 als Bias/Störungsbereich, 51:49 als natürliches Betriebsmaß- plastische Identität, Technē, 51–49, Referenzsystem, Tätigkeitskonsequenzen, Doppelhelix-Maß usw.)
I. Problemstellung und Leitthese
Die vorliegende Arbeit entwickelt einen integrativen Rahmen zur Selbstkritik und Revision moderner Zivilisationen, der technē (τέχνη) als Grundkategorie rehabilitiert, Maß-Verhältnisse (51–49) gegenüber idealisierenden Symmetriedogmen (50–50) bevorzugt und Ich-Bewusstsein strikt als Referenz- und Rückkopplungsphänomen versteht. Ausgangspunkt ist die Diagnose, dass die abendländische Tradition seit der klassischen Antike—genauer: seit der platonischen Zentrierung auf Ideen—eine körperlose Unverletzlichkeitswelt privilegiert, die in der Moderne als Skulpturidentität des Subjekts fortlebt: ein künstliches, autonom behauptetes Ich, das sich außerhalb von Widerstand, Material und Tätigkeitsfolgen denkt. Demgegenüber steht die Verletzungswelt der faktischen Lebenspraxis, in der Identität plastisch—d.h. eingepasst—unter realem Widerstand und unter Maß-Rückbindung entsteht.
Die Leitthese lautet: Eine zukunftsfähige Zivilisation kann nur entstehen, wenn Ich-Bewusstsein, Wissen und Normen wieder in Referenzsysteme mit realer Rückkopplung an Tätigkeitskonsequenzen eingebettet werden. Das erfordert (i) die Dekonstruktion der Skulpturidentität als Legitimationsfigur der Unverletzlichkeitswelt, (ii) die Rekodierung des Maßbegriffs vom symmetrischen 50–50 zum asymmetrischen 51–49 als natürlichem Betriebsmodus, und (iii) die Rehabilitation von technē (Handwerk/ Kunst) als erkenntnisleitendem Verfahren: Verstehen am Widerstand.
II. Begriffsapparat und Grundannahmen
Unverletzlichkeitswelt / körperlose Welt. Ontologischer Horizont der Folgenfreiheit: Denken als „Durchdringen“ ohne Verletzung, symbolisiert (im Mythos) durch die Kopfgeburt (Athene aus dem Kopf des Zeus). Diese Sphäre bildet das kulturelle Legitimationsfeld der Skulpturidentität: ein autonom behauptetes, eigentümerschaftliches Subjekt, das sich jenseits von Material, Widerstand und Rückkopplung verortet.
Verletzungswelt / physikalische Welt. Ontologischer Horizont realer Kausalität: Materialität, Widerstand, Risiko, Tätigkeitskonsequenzen. Hier sind Maß, Toleranzen und Rückkopplung konstitutiv (Technik, Handwerk, Organismus, Ökologie).
Skulpturidentität (künstlich-körperlos). Das heutige Subjektverständnis: autonom, selbst-besitzend, scheinbar unabhängig von Rückkopplung. Es ist eine Betrugskonstruktion insofern, als sie Referenzfreiheit behauptet und Folgenverantwortung suspendiert—ontologisch verankert in der Unverletzlichkeitswelt.
Plastische Identität (eingepasst). Identitätsform der Verletzungswelt: Angepasstheit an Widerstände, Formung unter Maß und Toleranz, Einbettung in Referenzsysteme. „Plastisch“ bedeutet hier passungsfähig, nicht beliebig.
Referenzsystem und Ich-Bewusstsein. Ich-Bewusstsein existiert nur innerhalb eines Referenzsystems, das Rückkopplung an Tätigkeitskonsequenzen garantiert. Außerhalb (Unverletzlichkeitswelt) wird das Ich grenzenlos, entfesselt und epistemisch folgenblind.
51–49 vs. 50–50. 51–49 ist das natürliche Betriebsmaß dynamischer Systeme (kosmisch, biologisch, sozial): geringe Asymmetrie ermöglicht Stabilisierung durch Schwingung/Resonanz. 50–50 ist Bias/Störungsbereich—ein abstraktes Gleichgewichts-Ideal, das Lähmung, Scheinsymmetrie und Kontrollphantasien erzeugt.
Doppelhelix der Referenzsysteme. Zwei überlappende Referenz-Ordnungen verschränken sich: (A) kosmo-physikalisch (vom frühen Kosmos über molekulare Chiralität zur Zellmembran), (B) techno-praktisch (vom Handwerk über technische Maßsysteme zu ethischen Regeln). Ihre Überlagerung bildet ein Maßstabssystem mit Mittigkeit (zwischen Minimum und Maximum) und tolerierter Asymmetrie (51–49).
III. Genealogie: Von technē zur Skulpturidentität
Historisch wird technē—als könnendes Wissen im Umgang mit Widerstand—früh zum Gemeinsinn-Medium von Maß und Verantwortung. Maß-Halten (in Kunst, Musik, Bau, Polis) bedeutet nicht Symmetrie um jeden Preis, sondern arbeitende Angemessenheit unter Toleranzen. Mit Platon verschiebt sich die Achse: Idee wird Norm, technē rangiert unter das theoretische Schauen. In mythischer Kodierung (Athene) wird körperlose Erkenntnis zur höheren Instanz: Denken ohne Verletzung. Damit ist der Konstruktionsfehler gesetzt: Legitimation einer Unverletzlichkeitswelt, in der Skulpturidentität—das autonom-abgelöste Subjekt—normativ wird.
Diese Idealisierung der Folgenfreiheit durchzieht die Wissenschaftsgeschichte: Naturgesetze dienen faktisch der Kontrolle/Beherrschung und weniger dem Verstehen am Widerstand. Systematisch folgt daraus die Entkopplung: Epistemische Prozesse werden vom Tätigkeitsvollzug abgezogen; Ich-Bewusstsein wird außer-referenziell gedacht. Das erzeugt den Widerspruch: Eine Zivilisation, die technisch im Toleranzmodus funktioniert (Material, Maß, Fehlerraten), behandelt Subjektivität im Modus der Folgenfreiheit.
IV. Maß, Resonanz und die 51–49-Heuristik
Die 51–49-Heuristik formalisiert das Lebensmaß asymmetrischer Stabilisierung. Von der frühen Kosmochemie (leichte Asymmetrien bei Elementhäufigkeiten, Symmetriebrüche), über molekulare Chiralität (Links-/Rechtsüberhänge), Membran-Selbstorganisation (innen/außen-Gradienten), homöostatische Regelkreise (Toleranzbänder), bis zu technischen Toleranzsystemen (Passungen, Sicherheitsmargen): Stabile Dynamik entsteht nicht aus perfekter Symmetrie (50–50), sondern aus kleiner Übergewichtung eines Pols (51–49), die Richtung und Schwingungsfähigkeit ermöglicht.
Normativ übersetzt bedeutet dies: Maß ist Mittigkeit unter asymmetrischer Toleranz. Zu viel (Maximum überschreiten) führt zu Kipppunkten/Chaos; zu wenig (Minimum) zu Funktionsverlust. Ich-Bewusstsein kann sich spielend zwischen Minimum und Maximum entfalten nur innerhalb des Referenzsystems—nicht in der Unverletzlichkeitswelt, wo grenzenloses Ich jede Rückkopplung suspendiert.
V. Ich-Bewusstsein als Membran-Phänomen
These: Das Ich ist kein autonomes Substrat, sondern ein Membran-Phänomen: Grenzbildung zwischen innen/außen, die Widerstand verspürt, Signale filtert und Konsequenzen rückkoppelt. Im Referenzsystem (Verletzungswelt) entstehen Identitätskohärenz und Verantwortung durch Kontakt mit Material, Anderen, Umwelt. In der Unverletzlichkeitswelt (Skulpturidentität) wird diese Membran fiktiv durchlässig gemacht—Denken simuliert Verstehen ohne Verletzung; Symbole und Konzepte treten anstelle der Wirkwelt.
Das erklärt die Kompatibilitätsstörung moderner Kognition: Gehirne, die ehemals im Maß-Handwerk mit Folgen-Rückkopplung kalibriert wurden, werden heute auf symbolisch-folgenfreie Operationen sozialisiert. Ergebnis: Folgenblindheit, Risikoverschiebung und Legitimationsschleifen (das „richtige“ Konzept ersetzt die richtige Passung).
VI. Einseitigkeiten konkurrierender Ansätze
Viele klassische Kritiken „tun so, als ob“ sie Zivilisationskritik betrieben—sie bleiben jedoch einseitig:
- Platonische/idealistische Linien privilegieren Idee vor technē und normalisieren Folgenfreiheit (Skulpturidentität).
- Rationalistische Technikoptimismen reduzieren Maß auf Berechenbarkeit (50–50-Symmetrieideale), ignorieren aber Toleranzen und Widerstände als konstitutiv.
- Pessimistische Kulturkritiken (verschiedene Traditionen) sehen zwar Entfremdung, liefern aber kein operatives Maß der Wiedereinbettung in Referenzsysteme.
- Poststrukturalistische/language-turn-Positionen entlarven Diskurse, verfehlen jedoch häufig Materie/technē als Erkenntnispraxis (Folgenkontakt).
- Akteur-Netzwerk-Symmetrierungen nivellieren Agency, ohne einen Maßstab für qualitative Asymmetrien (51–49) zu liefern.
Der vorliegende Ansatz grenzt sich ab: Weder nostalgische Rückkehr noch technokratische Perfektion—sondern eine technē-fundierte Maß-Revision: Verstehen am Widerstand + asymmetrisches Lebensmaß + Rückkopplungsverantwortung.
VII. Technē als Erkenntnisform: Verstehen am Widerstand
Technē heißt Weltkontakt unter Maß: Material spüren, Werkzeug führen, Toleranzen einhalten, Fehler rückkoppeln, Gestalt subtraktiv herausarbeiten. Erkenntnis entsteht in der Bearbeitung—nicht in Absehung vom Widerstand. Die Werkstatt (im wörtlichen wie im übertragenen Sinn) ist daher epistemisch: Sie kalibriert Ich-Bewusstsein im Referenzsystem.
Dies gilt bildnerisch und darstellerisch: In der Bühne (Rolle/Als-ob) wird Skulpturidentität gespielt, während der Darsteller in der Verletzungswelt lebt; so wird Differenz einsichtig und Maß erprobt. Kunst ist in diesem Sinn Maß-Labor der Zivilisation.
VIII. Doppelhelix der Referenzsysteme
Die Überlagerung zweier Referenzordnungen lässt sich als Doppelhelix beschreiben:
- Natur/Physik-Helix. Von kosmischen Symmetriebrüchen, molekularen Chiralitäten, Membran-Bildungen bis zur Homöostase: 51–49 als Stabilisierungsprinzip.
- Technē/Ethik-Helix. Von handwerklichen Toleranzsystemen über Sicherheitsmargen bis zu Verantwortungsregeln: Maß als Mittigkeit mit asymmetrischer Vorsorge (immer etwas mehr Sicherheit/Regeneration als Verbrauch).
Ihre Verschränkung erzeugt eine operative Normativität: Regelwerke leiten sich aus der Material- und Prozesslogik ab (nicht umgekehrt). 50–50 gehört hier in den Störungsbereich (ideologische Symmetrisierung), 51–49 in den Funktionsbereich (lebendige Stabilität).
IX. Kritik der Skulpturidentität
Die Skulpturidentität—autonom, eigentümerschaftlich, grenzenlos—ist künstlich und folgenblind. Sie simuliert Unverletzlichkeit, ignoriert Rückkopplung und verwechselt Konzept mit Passung. Gesellschaftlich erzeugt sie:
- Normüberschreitung (Maximum-Drift): Risikoverlagerung, ökologische/soziale Kipppunkte,
- Schein-Symmetrie (50–50): Lähmung, Verantwortungsdiffusion,
- Kompatibilitätskonflikte: Kognition ohne Materialkontakt, Ethik ohne Folgenprüfung.
Die plastische Identität in der Verletzungswelt ist demgegenüber eingepasst, maßhaltig und rückgekoppelt—nicht perfekt, aber funktionsfähig.
X. Verantwortung als künstlerisch-praktische Tätigkeit
Zentraler Vorschlag: Verantwortung wird künstlerisch-praktisch realisiert: Tun, Spuren, Rückkopplung. Werkzeuge und Materialien fungieren als Widerstands-Medien, an denen Konsequenzen sichtbar, spürbar und korrigierbar werden.
Das gilt individuell (Selbstformung durch subtraktive Praxis) und gesellschaftlich (Institutionen als Maß-Werkstätten: Toleranzen, Fehlertoleranz-Management, transparente Konsequenzketten). Alles andere ist abgeleitet.
XI. Operationale Heuristiken (51–49 als Selektionsregel)
- Maß-Vorrang: In Konfliktlagen Minimal-Asymmetrie zugunsten Regeneration/Sicherheit (z. B. 51 % Ökosystemschutz / 49 % Nutzung).
- Rückkopplungsgebot: Keine Entscheidung ohne definierte Tätigkeitskonsequenzen und Mess-Rückwege (Material-, Sozial-, Öko-Feedback).
- Werkstatt-Beweis: Gültig ist, was am Widerstand passt (Passungen/ Toleranzen), nicht was diskursiv elegant ist.
- Membran-Pflege: Strukturen schützen Grenzen (innen/außen), erlauben Durchlässigkeit unter Maß (Filter), nicht grenzenlose Offenheit.
- Anti-Symmetrie-Prinzip: 50–50 ist Störbereich (Scheinvalidität); 51–49 ist Betriebsbereich (Resonanz-Stabilität).
XII. Konsequenzen für Wissenschaft, Technik und Politik
- Wissenschaft: Re-Einbettung in technē—Experimente als Widerstandsarbeit, Metriken mit Toleranz-Angaben, Fehlerkultur vor Scheinpräzision.
- Technik: Toleranz- und Sicherheitsmargen als erste Norm; präventive Asymmetrien (51–49) designen; Folgenpfade verpflichtend nachweisen.
- Politik: Maß-Gesetzgebung (Korridore statt Punktziele), Rückkopplungs-Institutionen (Konsequenz-Audits), Ressourcen-Regeln mit regenerativem Übergewicht.
- Bildung/Kunst: Werkstatt-basierte Curricula; Bühne (Rolle/Als-ob) zur Reflexion der Skulpturidentität; Handwerk als Erkenntnismodus.
XIII. Schluss: Revision des Maßes statt Rückfall in Ideologie
Die Krise moderner Zivilisation ist maß- und referenzgebunden. Sie lässt sich nicht durch Rückfall in Idee, Symmetrie oder Kontrolle beheben, sondern nur durch Rehabilitation von technē, Rückbindung an Verletzungswelt und Operationalisierung des 51–49-Maßes.
Ich-Bewusstsein gewinnt Form nur im Referenzsystem: zwischen Minimum und Maximum, im Kontakt mit Widerstand, unter Rückkopplung an Konsequenzen. Außerhalb—in der Unverletzlichkeitswelt—wird es grenzenlos, folgenblind und zivilisatorisch riskant.
Die vorgeschlagene Maß-Revision liefert ein Selektions- und Regelwerk, das Urprinzipien lebendiger Organisation (Membran, Asymmetrie, Resonanz) ernst nimmt. 51–49 ist dabei kein Dogma, sondern eine operative Heuristik: gerade genug Übergewicht, um Bewegung und Stabilität zu koppeln; gerade genug Maß, um Freiheit in Spielräumen zu ermöglichen, ohne Kipppunkte zu überschreiten.
Literaturhinweise (Auswahl, orientiert am Diskurs)
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Haraway, D. (2016). Staying with the Trouble.
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