Plastische Anthropologie der Referenzwissenschaften.

Aus Globale-Schwarm-Intelligenz

Worum geht es dabei?

1. Einerseits darum, dass wir Begriffe wie Mensch, Individuum oder Lebewesen verwenden, obwohl diese in einem eigentlichen Sinne gar nicht existieren.

Das ergibt sich daraus, dass der Mensch so tut, als sei er unabhängig – obwohl er in Wirklichkeit in einer vollständigen Abhängigkeit von seinem Körperorganismus lebt.

Die Plastische Anthropologie versteht den Menschen nicht als autonomes Individuum, sondern als Funktionsteil eines umfassenderen Stoffwechselorganismus.

Leben ist nur möglich durch ein Geflecht gegenseitiger Abhängigkeiten, in dem Atem, Mineralien und andere Lebensbedingungen geteilt werden. Begriffe wie „Mensch“ oder „Individuum“ verschleiern diese fundamentale Eingebundenheit und erzeugen die Illusion einer Unabhängigkeit. Tatsächlich existiert kein Leben ohne Stoffwechsel, ohne Austausch mit einem größeren Organismus.

2. Zugleich ist der Mensch als Funktionsteil in der Lage, in die physikalische Welt einzugreifen und massive Veränderungen hervorzurufen.

Auch die Arbeitsweise des Gehirns lässt sich als kompatibel dazu begreifen: Es beschäftigt sich mit den Konsequenzen von Tätigkeiten.

Damit geht es um Tätigkeitshandlungen, ihre Konsequenzen und die Rückkopplung mit einem Referenzsystem-Widerstandspotenzial – vergleichbar mit dem Reagieren einer Membran.

Jedem Tätigkeitskonsequenz- oder Rückkopplungsprozess liegt dabei ein doppeltes Referenzsystem zugrunde. In dessen Mitte befindet sich ein Gleichgewichtspunkt (51/49) zwischen Minimum und Maximum- wird das Maximum überschritten, enstehen Kipppunkte, an denen das ganze System ins Chaos geraten kann. Dieses Referenzsystem liefert somit die Maßstäbe, um funktionierendes und nicht funktionierendes Handeln zu bewerten. Genau hier setzt die Plastische Anthropologie an.

Jede Tätigkeit bringt Konsequenzen hervor, die auf Widerstände treffen und rückgekoppelt werden. Diese Dynamik folgt einem doppelten Referenzsystem, das zwischen Minimum und Maximum balanciert (51/49). Dieses System markiert die Schwelle zwischen Funktionieren und Nicht-Funktionieren; wird das Maximum überschritten, treten Kipppunkte auf, an denen ganze Systeme ins Chaos kippen können.

3. Das Problem liegt jedoch darin, dass das gegenwärtige Ich-Bewusstsein des Menschen mit diesen Tätigkeitskonsequenzen kaum kompatibel ist.

Das Gehirn arbeitet in der Regel zielgerichtet auf dem kürzesten Weg und erzeugt dabei Konstrukte, Symboliken und Konzepte, die dem Menschen als Realität erscheinen. Diese Konstrukte haben jedoch keinen unmittelbaren Bezug zu den realen Handlungsfolgen. Daraus entsteht der Bruch des „neuen Menschen“: Er reagiert nicht auf die Konsequenzen seines Tuns, übernimmt keine Verantwortung und bleibt blind für die Rückkopplung seiner eigenen Tätigkeit.

4. Im Unterschied dazu leben Tiere in einer Unmittelbarkeit: Sie reagieren automatisch über Anpassungsmechanismen, die in Milliarden Jahren evolutionär erprobt, überprüft und reguliert wurden. Diese Mechanismen bilden die Maßstäbe, an denen das Leben sich kontrolliert und stabilisiert hat. Der Mensch kann sich dieser Maßstäbe nicht dauerhaft entziehen – auch wenn er sie über symbolische Realitätskonstruktionen zu ignorieren versucht.

5. Besonders deutlich zeigt sich dieser Widerspruch im Verhältnis von Lernen und Technik.

Der Fortschritt der Technik ist überhaupt nur möglich geworden, weil Lernen stattfand – insbesondere über das Handwerkliche, das an Widerstände, Materialien und konkrete Probleme gebunden ist. Technik ist daher nie nur Abstraktion, sondern beruht auf einer Auseinandersetzung mit realen Rückkopplungsprozessen.

6. Gleichzeitig verweigert der Mensch jedoch vielfach das Lernen im Bereich seiner eigenen Handlungskonsequenzen. Er entwickelt Technik weiter, aber er übersieht die langfristigen Rückwirkungen seines Tuns auf Umwelt, Gesellschaft und Organismus. Hier liegt die eigentliche Krise: ein Fortschritt ohne Verantwortungslernen.

7. Die Plastische Anthropologie bietet hier ein Modell, um dieses Spannungsfeld sichtbar zu machen.

A. Dieser Zusammenhang kann noch stärker sichtbar werden im künstlerischen Prozess. Dort zeigt sich der Widerstandsprozess konkret in der Auseinandersetzung mit Materialeigenschaften, Werkzeugen und Techniken. Aus diesem Ringen entsteht ein Kunstwerk. Man kann dabei scheitern – oder Freude empfinden –, doch immer arbeitet man innerhalb und durch das Referenzsystem.

Im künstlerischen Prozess tritt es besonders klar hervor: Eine Idee aus der Unverletzlichkeitswelt (geistiges Ich-Bewusstsein, Inspiration, Konzeption) trifft auf die Verletzungswelt der physikalischen Materialität (Referenz-Ich-Bewusstsein). Widerstände durch Material, Werkzeug und Technik konfrontieren das Subjekt mit seinen eigenen Grenzen.

Hier wird Lernen unvermeidlich, weil Widerstand und Rückkopplung nicht ausgeblendet werden können. Kunst verweist so auf das Handwerkliche, das dem technischen Fortschritt zugrunde liegt, und eröffnet die Möglichkeit eines neuen Ich-Bewusstseins – eines Bewusstseins, das die Konsequenzen des eigenen Handelns anerkennt und integriert.

Damit wird die Kunst zum Labor für Anthropologie: Sie zeigt den Menschen als plastisches, eingebundenes und zugleich eingreifendes Wesen, das seine Eingebundenheit in Stoffwechsel und Rückkopplung nicht verdrängen kann, sondern lernen muss, mit ihr zu arbeiten.

B. Diese Unverletzlichkeitswelt lässt sich auch in der Bühnenrealität wiederfinden. Dort arbeitet man mit Requisiten, in einer Sphäre, in der die Rollenfigur des Darstellers sterben kann, nicht aber der Darsteller selbst. Er bleibt in der Verletzungswelt verankert.