Postanthropozentrisches Welt- und Selbstverständnis im wissenschaftlichen Diskurs
Ich werde einen wissenschaftlichen Fließtext erstellen, der deine bisherigen Gedanken konsequent aufgreift – etwa das plastisch-elastische Plexus-Denken, das Verhältnis 51:49 als Maßstabssystem, das post-anthropozentrische Ethik- und Kommunikationsverständnis – und diese mit führenden Positionen aus Philosophie, Systemtheorie, Posthumanismus, Kybernetik und Umweltethik vergleicht. Ich werde dabei auf relevante Autor:innen wie Donna Haraway, Karen Barad, Foucault, Sloterdijk, Simondon und Bruno Latour eingehen und konkrete Literaturquellen aus der Forschungsliteratur integrieren.
Postanthropozentrisches Welt- und Selbstverständnis im wissenschaftlichen Diskurs
Einleitung
Das post-anthropozentrische Welt- und Selbstverständnis stellt einen radikalen Perspektivenwechsel dar:
Weg von einer menschzentrierten Sicht, hin zu einer Auffassung, die den Menschen als nur einen Knoten in einem dichten Geflecht von Beziehungen zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Entitäten begreift. In einer solchen Sichtweise werden die starren Dichotomien – Mensch/Natur, Subjekt/Objekt, Kultur/Umwelt – aufgebrochen und durch Vorstellungen von plastischen, elastischen Geweben (im Sinne eines Plexus oder Netzwerks) ersetzt, in denen alle Elemente miteinander verwoben sind.
Charakteristisch ist zudem das Denken in asymmetrischen Wirkverhältnissen, etwa nach dem Prinzip 51:49 statt idealisierter 50:50-Symmetrien – das heißt, man anerkennt, dass Beziehungen selten vollkommen ausgeglichen sind, sondern kleinste Ungleichgewichte (ein „leichtes Übergewicht“ eines Pols) komplexe Auswirkungen haben können.
Schließlich wird ein Maßstabs- und Kommunikationssystem auf Basis physikalischer Realität gefordert: Erkenntnis und Austausch sollen an realen, materiellen Prozessen und Größenordnungen orientiert sein, statt an rein abstrakten, anthropozentrischen Maßstäben.
Diese eigenständigen Gedankengänge weisen Parallelen zu Entwicklungen in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen auf – von der Philosophie und Anthropologie über die Umweltethik und Systemtheorie bis hin zum Posthumanismus und der Kybernetik. Im Folgenden werden die zentralen Ideen dieses post-anthropozentrischen Denkansatzes mit den Konzepten führender Denker:innen wie Donna Haraway, Karen Barad, Michel Foucault, Peter Sloterdijk, Gilbert Simondon und Bruno Latour in Beziehung gesetzt.
Es wird aufgezeigt, inwieweit vergleichbare Überlegungen bereits in der gegenwärtigen Forschung fundiert behandelt wurden, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu den genannten Autor:innen bestehen und welche Begriffe, Perspektiven oder methodologischen Zugänge besonders anschlussfähig sind. Dabei stützen wir uns auf verlässliche Quellen und wissenschaftliche Fachliteratur, um die Verortung dieses Denkens im aktuellen Diskurs klar herauszuarbeiten.
Postanthropozentrisches Denken: Plexus, Asymmetrie und physikalischer Maßstab
Im Zentrum des post-anthropozentrischen Weltverständnisses steht die Vorstellung eines dynamischen Beziehungsgeflechtes – ein „Plexus“ aus plastischen, elastischen Geweben. Die Wirklichkeit wird als Gewebe gegenseitiger Durchdringung gesehen, in dem kein Element (auch nicht der Mensch) für sich isoliert existiert. Diese Idee erinnert an Konzepte der Verflochtenheit und Vernetzung in aktuellen Theorien. So betont etwa die feministische Wissenschaftstheoretikerin Karen Barad, dass alle Phänomene als materielle (Re)Konfigurationen der Welt zu verstehen sind, durch die erst Grenzen und Eigenschaften erzeugt werdengenealogy-critique.net.
Ähnlich spricht Donna Haraway von sympoietischen (gemeinsam-entstehenden) Systemen und vernetzten „Geweben“ des Lebens, in denen Menschen und andere Lebewesen zu Mit-Wesen werdengenealogy-critique.net.
Solche Denkerinnen greifen die Metapher des Netzes oder Gewebes explizit auf, um ein post-anthropozentrisches Miteinander-Sein zu beschreiben – Haraway etwa fordert ein “tentakuläres Denken”, das die Verbindungen über Spezies-Grenzen hinweg in den Blick nimmtgenealogy-critique.nete-flux.com.
Das Motiv der asymmetrischen Wirkverhältnisse (51:49) impliziert, dass Macht, Einfluss oder Wirksamkeit zwischen Akteuren selten vollkommen ausgewogen verteilt sind. Statt einer idealen Symmetrie gibt es immer ein leichtes Ungleichgewicht – eine kleine Verschiebung, die aber den Ausschlag geben kann.
Diese Idee spiegelt sich in Konzepten der Machtanalyse und der Systemtheorie wider. Michel Foucault zeigte z.B., dass Machtverhältnisse allgegenwärtig sind und in einem Geflecht von Beziehungen zirkulieren, wobei keine völlige Gleichheit herrscht – Macht ist relational und ungleich verteilt, aber auch veränderlich.
Foucaults berühmtes Diktum vom „Ende des Menschen“ – die Prognose, der Mensch werde mit dem Wandel der Erkenntnisordnungen „ausgelöscht… wie ein Gesicht im Sand am Meeresufer“ars.electronica.art – kann als Warnung verstanden werden, dass das bisherige anthropozentrische Gefüge ins Wanken gerät.
In einem post-anthropozentrischen Denken wird anerkannt, dass der Mensch nicht mehr das alleinige Zentrum von Wirkung und Bedeutung ist; er steht in asymmetrischen Abhängigkeiten mit nicht-menschlichen Akteuren (sei es die Umwelt, Technik oder andere Lebensformen), die ihm manchmal minimal voraus sein können (51 zu 49) und dadurch die Dynamik bestimmen.
Solche Mikro-Asymmetrien erinnern auch an systemtheoretische Überlegungen: In nichtlinearen Systemen können geringfügige Veränderungen eine Kettenreaktion auslösen (man denke an Kipppunkte im Klimasystem oder an positive Rückkopplungen in der Kybernetik).
Das 51:49-Prinzip hebt hervor, dass kleine Differenzen große Folgen haben können – ein Gedanke, der etwa im Prinzip der Differenz bei Gregory Bateson anklingt.
Bateson argumentierte in seiner ökologischen Systemtheorie, dass das Überlebenseinheit nicht der isolierte Organismus ist, sondern Organismus-plus-Umwelt, denn „der Organismus, der seine Umwelt zerstört, zerstört sich selbstlabster8.net.“
Hier zeigt sich: Ein minimaler Vorteil (51) des Menschen gegenüber seiner Umwelt kann trügerisch sein – wird das Gleichgewicht zu seinen Gunsten verschoben, gefährdet er letztlich sich selbst, da er untrennbar Teil des Systems ist.
Schließlich fordert das post-anthropozentrische Verständnis ein Maßstabs- und Kommunikationssystem auf Basis physikalischer Realität.
Damit ist gemeint, dass unsere Begriffe von Größe, Umwelt, Relation und Kommunikation an objektive, physikalische Gegebenheiten rückgekoppelt sein sollen, statt an menschliche Willkür oder rein kulturelle Konstrukte. Beispielsweise rückt der planetare Maßstab in den Fokus: Klimawandel, Erdzeitalter Anthropozän und globale Ökosphären erfordern ein Denken in ungewohnten Raum- und Zeitskalen, das die physikalischen Realitäten – atmosphärische Konzentrationen, thermodynamische Grenzen, geologische Zeit – ernst nimmt. Kommunikation wird hier nicht nur als menschlicher Sprachverkehr verstanden, sondern als Signal- und Informationsaustausch in materiellen Netzwerken – von biochemischen Signalen von Bäumen bis zu digitalen Feedback-Schleifen technischer Systeme.
Dieses Konzept knüpft an die Kybernetik und Systemtheorie an: Schon Norbert Wiener beschrieb Kommunikation und Steuerung in Tieren und Maschinen mit denselben Begriffenreddit.com, was die strikte Trennung zwischen menschlicher Sprache und physikalischer Signalübertragung relativiert.
Auch moderne Systemtheoretiker wie Niklas Luhmann haben den Menschen als nur noch eine Umweltbedingung für soziale Systeme definiert und Kommunikation abstrakt als systemischen Prozess gefasst – eine drastische Verlagerung des Fokus weg vom individuellen Mensch hin zur Vernetzung von Informationen.
Ein post-anthropozentrisches Kommunikationsmodell basiert somit auf materiellen Trägersystemen (sei es Elektromagnetismus, neuronale Netze oder chemische Botenstoffe) und betont Maßstäblichkeit: die Passung zwischen der Komplexität des Kommunikationssystems und der Komplexität der Umwelt (man denke an Ashbys Gesetz der erforderlichen Varietät in der Kybernetik). Insgesamt zielt dieser Aspekt darauf ab, menschliche Perspektiven zu skalieren und einzubetten – von der Quantenebene (die Barad einbezieht) bis zur planetaren Ebene (die etwa in der Gaia-Theorie oder Erdsytemforschung diskutiert wird).
Zusammenfassend liefert das post-anthropozentrische Denken ein eigenes Vokabular – Plexus, 51:49, physikalischer Maßstab – um die Entgrenzung des Menschlichen im Gefüge der Welt zu beschreiben. Im Folgenden werden diese Ideen mit den Konzepten prominenter Denker:innen verglichen, um Gemeinsamkeiten, Differenzen und Anschlussmöglichkeiten herauszustellen.
Donna Haraway: Vernetztes Leben und Sympoiesis
Die Biologin und Philosophin Donna Haraway gilt als Pionierin des posthumanistischen und post-anthropozentrischen Denkens. Bereits in ihrem Cyborg-Manifest (1985) unterlief sie anthropozentrische Vorstellungen, indem sie die Grenzen zwischen Mensch, Tier und Maschine verwischte und den Cyborg als Symbol einer vernetzten Existenz präsentiertejournals.sagepub.com. Haraway kritisiert das traditionelle Bild vom Menschen als autonomen Zentrum und schlägt stattdessen Naturkultur-Hybride und Beziehungsnetze vor, in denen kein Akteur absolut unabhängig ist. Insbesondere in ihren neueren Werken (z.B. Staying with the Trouble, 2016) führt Haraway das Konzept der Sympoiesis ein – wörtlich „Mit-Schöpfung“ –, das ein Gegenentwurf zur autarken Selbsterschaffung (Autopoiesis) iste-flux.com. Sympoietische Systeme sind offen, dynamisch und gemeinschaftlich: Organismen, Technik und Umwelt ko-evolvieren und produzieren gemeinsam das Gewebe des Lebens. Haraway verwendet hierfür lebhafte Metaphern wie das des tentakulären Denkens – sie spricht von Tentakeln, Fäden und Verknüpfungen, um die Verwobenheit aller Wesen zu veranschaulichengenealogy-critique.nete-flux.com. Diese Bilder passen auffallend gut zur Idee eines Plexus aus plastischen, elastischen Geweben: Auch Haraway sieht die Welt als Gewirr von Fäden, „vernetzten Ökologien“ und Verwandtschaftslinien zwischen Speziese-flux.com.
Gemeinsamkeiten zum beschriebenen post-anthropozentrischen Ansatz sind deutlich erkennbar. Haraway betont die Ko-Abhängigkeit von menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren und propagiert alternative Formen des Zusammenlebens (etwa Cross-Species Kinship, Verwandtschaft über Artgrenzen hinweg)genealogy-critique.net.
Damit rückt sie den Menschen vom Thron der Schöpfung und ordnet ihn als einen Akteur unter vielen in ein Beziehungsgeflecht ein – ganz im Sinne des Welt-Plexus. Zudem basiert Haraways Denken auf konkreter biologischer und ökologischer Realität: Sie diskutiert etwa Symbiosen (z.B. Flechten als Pilz-Algen-Kollektiv) oder die Rolle von Mikroben, um zu zeigen, dass Leben nur in Gemeinschafts-Netzwerken gedeihte-flux.com. Dies spiegelt den Anspruch wider, ein Kommunikationssystem auf physikalischer (bzw. biologischer) Realität zu gründen – Theorien müssen an der Stofflichkeit des Lebens anknüpfen. Haraway arbeitet eng mit wissenschaftlichen Befunden, übersetzt sie aber in ein neues, nicht-anthropozentrisches Begriffsnetz (Cyborg, Chthuluzän, sympoietisch etc.).
Hinsichtlich der asymmetrischen Verhältnisse lässt sich sagen, dass Haraway – als feministische Denkerin – Machtgefälle und Ungleichheiten durchaus reflektiert, jedoch weniger numerisch (wie “51:49”) als qualitativ. Sie prangert zum Beispiel Hierarchien zwischen Spezies oder auch Geschlechtern an, ohne jedoch eine völlige Egalität zu behaupten.
Vielmehr fordert sie Verantwortung und Aushandlung in den Beziehungen: Symbiose ist kein harmonischer Gleichgewichtszustand, sondern ein ständiger Prozess von Neu-Verhandlungen inmitten von Verwicklungengenealogy-critique.net. Das entspricht dem Gedanken, dass selbst in Kooperation immer leichte Ungleichgewichte vorhanden sind (ein Partner gibt vielleicht etwas mehr als der andere, analog 51:49) und diese immer wieder austariert werden müssen. Haraway spricht in diesem Zusammenhang von „mit dem Trouble leben“ – anstatt nach totaler Kontrolle oder perfekter Harmonie zu streben, soll man lernen, mit den unauflösbaren Unordnungen und Spannungen (also faktischen Asymmetrien) konstruktiv umzugehengen. ealogy-critique.net.
In der aktuellen Forschung sind Haraways Konzepte bereits fest verankert. Ihre Ideen des vernetzten Lebens und der Multispezies-Konnektivität gelten als Fundament feministischer Posthumanismus-Debattengenealogy-critique.net. Begriffe wie NatureCulture, Companion Species oder Tentacular Thinking bieten anschlussfähige Werkzeuge, um das post-anthropozentrische Plexus-Denken weiterzuentwickeln.
Insbesondere Haraways Sympoiesis-Begriff passt hervorragend, um ein Kommunikations- und Kooperationssystem physischer Akteure zu beschreiben – schließlich fordert sie selbst, etwa in Anlehnung an Lynn Margulis’ Symbiogenese, ein Denken in „Verknüpfungen und gemeinsamen Schöpfungen“, das starre Individuumsgrenzen überschreitete-flux.com. Somit liefert Haraway nicht nur inhaltliche Gemeinsamkeiten, sondern auch eine inspirierende Sprache und Methodik (etwa das Spinnen von „SF – string figures“, Fäden zu Mustern legen), die das neue Weltverständnis weiter untermauern kann.
Karen Barad: Agentieller Realismus und materielle Verflechtungen
Die Physikerin und Philosophin Karen Barad gehört – wie Haraway – zu den zentralen Vertreterinnen eines Posthumanismus, der das anthropozentrische Denken explizit überwindet.
Barads Ansatz, der agentieller Realismus genannt wird, verbindet Quantenphysik mit kritischer Sozialtheorie und besagt, dass Materie und Diskurs, Objekte und Subjekte untrennbar verwoben sind. In Anlehnung an Niels Bohrs Interpretation der Quantenmechanik argumentiert Barad, dass Eigenschaften wie „Objekt“ und „Messgerät“ erst durch den Messprozess gemeinsam hervorgebracht werden – sie spricht von „Intra-Aktionen“ statt Interaktionentaylorfrancis.com.
Das bedeutet, die Akteure entstehen erst in ihren Beziehungen, statt als fertige Einheiten in Beziehung zu treten. Dadurch „de-konstruiert“ Barad die klassische Trennung zwischen dem beobachtenden Menschen und der beobachteten Welt: Wissen ist nicht mehr allein ein menschlicher Akt, sondern ein materielles Geschehen – „diskursive Praktiken sind keine rein menschlichen Aktivitäten mehr, sondern spezifische materielle Um-Konfigurationen der Welt“genealogy-critique.net. Mit anderen Worten: Auch die nicht-menschliche Materie „agiert“ und beteiligt sich an der Hervorbringung von Bedeutung und Realität.
Barads Konzept der Verflechtung (Entanglement) greift damit die Idee eines universellen Geflechts (Plexus) auf tiefster ontologischer Ebene auf. Alles, was ist, ist durch wechselseitige Beziehungen konstituiert – Barad postuliert die „Verstrickung und wechselseitige Verbundenheit allen Seienden“genealogy-critique.net.
Diese Sprache entspricht nahezu eins zu eins dem Bild vom elastischen Gewebe: Barads Welt besteht aus einem Gewebe von Phänomenen, in dem keine klare Faser allein für sich existiert. Daraus folgt auch ethisch etwas Post-anthropozentrisches: Wenn Mensch und Nicht-Mensch von Grund auf verflochten sind, trägt der Mensch Verantwortung für seine Mitakteure und kann sich nicht als außerhalb der physischen Realität stehend betrachten. Barad selbst betont die Verantwortlichkeit innerhalb relationaler Ontologien, was einen Schulterschluss mit Umweltethik und posthumanistischer Ethik darstelltgenealogy-critique.net.
In Bezug auf asymmetrische Wirkverhältnisse bietet Barads Theorie ein interessantes Spannungsfeld. Einerseits lehnt sie jegliche von vornherein festgelegte Hierarchie zwischen Humanem und Nicht-Humanem ab – in ihrem posthumanistischen Verständnis haben weder der Mensch noch die Materie a priori Vorrang; beide emergieren gemeinsam.
Andererseits erkennt Barad natürlich an, dass in konkreten Phänomenen bestimmte Konfigurationen dominieren können. Zum Beispiel schafft ein Experimental-Setup (eine bestimmte Apparatur) Bedingungen, die gewisse Eigenschaften begünstigen und andere unterdrücken – hier könnte man von einer Asymmetrie im Ergebnis sprechen, obgleich die beteiligten Agentien gemeinsam daran beteiligt waren.
Barads Sprache benutzt zwar nicht die Metapher „51:49“, doch implizit ist das Moment der leichten Dominanz in jedem Messprozess vorhanden: Durch den sogenannten agential cut (die aktive Setzung einer Grenze im Beobachtungsakt) wird entschieden, welche Aspekte als „Akteur“ und welche als „Hintergrund“ erscheinentaylorfrancis.com. Diese Schnittsetzung ist performativ und spiegelt Macht wider – sie könnte sinnbildlich dem 51% Anteil entsprechen, der eine bestimmte Realität hervorbringt, während 49% ausgeblendet werden. Insofern sensibilisiert Barads Theorie dafür, dass scheinbar objektive Verhältnisse Resultat von Entscheidungsasymmetrien sind.
Bemerkenswert anschlussfähig ist Barads Fokus auf ein Maßstabs- und Kommunikationssystem, das auf physikalischer Realität beruht. Denn sie holt die grundlegenden Naturwissenschaften ins Boot der Theorie: Quantenphysik liefert ihr die Basisbegriffe für Epistemologie und Ontologie.
Barad zeigt damit beispielhaft, wie philosophische Konzepte maßstabsübergreifend gedacht werden können – vom subatomaren Niveau (Quantenereignisse) bis zu philosophischen Kategorien wie Verantwortung und Ethik. Sie selbst durchbricht etwa den Mikro-Makro-Gegensatz: Indem Quantenphänomene auch gesellschaftstheoretische Relevanz haben, wird deutlich, dass Erkenntnis nicht an menschliche Größenordnungen gebunden ist. tandfonline.com. Außerdem begreift Barad Wissen als kommunikativen Akt zwischen Mensch und Materie, als materiellen Austausch von z.B. Lichtquanten, Messimpulsen etc., der in Bedeutung übersetzt wird. Hier wird Kommunikation buchstäblich physisch verstanden – genau die Art von Perspektive, welche die post-anthropozentrische Forderung nach physikalischer Fundierung erfüllt.
In der aktuellen Forschungsliteratur wird Barads Beitrag hoch geschätzt und vielfach rezipiert. Ihr Konzept der „intra-aktiven“ Verflechtung hat in den New Materialisms und der Wissenschaftsphilosophie großen Einfluss. Zahlreiche Werke beziehen sich auf Barad, um z.B. Geschlechtertheorie, Kunstbetrachtung oder Ethik post-anthropozentrisch zu reformulierengenealogy-critique.net.
Für das hier diskutierte Weltverständnis liefert Barad nicht nur theoretische Fundamente, sondern auch prägnante Begriffe: Agentieller Realismus, Intraaktion, Phänomene (statt getrennte Objekte/Subjekte) sind Konzepte, die direkt übernommen oder weiterentwickelt werden können, um die Idee eines elastischen Geflechts ohne festes Zentrum auszubuchstabieren.
Ferner bietet Barads Methode der Diffraktion – anstelle bloßer reflexiver Kritik – einen neuen methodologischen Zugang: Theorien und Perspektiven sollen einander durchdringen und Unterschiede produktiv sichtbar machene-flux.com, was wiederum dem Bild des Plexus entspricht, in dem verschiedene Stränge ein Muster bilden. Insgesamt zeigt der Vergleich: Barads Denken deckt sich in weiten Teilen mit dem post-anthropozentrischen Ansatz (vor allem hinsichtlich Verflechtung und physischer Fundierung) und liefert damit einen bereits gut ausgearbeiteten, wissenschaftlich fundierten Referenzrahmen.
Michel Foucault: Machtgefüge, Diskurse und das Ende des „Menschen“
Obwohl Michel Foucault primär als Philosoph und Historiker der Humanwissenschaften gilt, haben seine Arbeiten implizit post-anthropozentrische Konsequenzen. Foucault zerlegte in seinen genealogischen und archäologischen Analysen den souveränen anthropologischen Subjektbegriff, indem er zeigte, wie der Mensch als Erkenntnisobjekt und Subjekt der Moderne erst historisch entstanden ist – und ebenso historisch wieder verschwinden kann.
Bekannt ist sein Schlussatz aus Die Ordnung der Dinge (1966), wo er schreibt, man könne wetten, dass der Mensch „ausgelöscht werden wird, wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand“ars.electronica.art. Diese drastische Metapher bringt die Vergänglichkeit der anthropozentrischen Episteme auf den Punkt: Was die Aufklärung und Moderne als festen Mittelpunkt des Wissens (den Menschen als Maß aller Dinge) etablierten, könnte in zukünftigen Denkkonstellationen obsolet werden. Foucault leistet hier gewissermaßen die Entzauberung des Humanums – ein wesentlicher Schritt in Richtung post-anthropozentrischen Denkens, auch wenn Foucault selbst kein „Ökologe“ oder Posthumanist im heutigen Sinne war.
Zentral in Foucaults Denken ist das Konzept des Netzwerks der Macht. Macht ist bei ihm kein Besitz oder substanzieller Pfeil, der vom Souverän ausgeht, sondern ein Geflecht von Relationen, das überall dort entsteht, wo Akteure aufeinandertreffen.
„Macht kommt von überall her“, sagt Foucault sinngemäß – sie durchzieht die gesellschaftlichen Körper wie ein kapillares Netzwerk. Diese Vorstellung einer verteilten, dezentrierten Macht harmoniert mit dem Plexus-Gedanken: Auch hier wird ein Phänomen (Macht) nicht in einem Zentrum lokalisiert, sondern im Beziehungsgewebe zwischen Entitätengenealogy-critique.net. Zudem betont Foucault die Produktivität von Macht – Machtverhältnisse bringen Wissen, Subjektivitäten und „Wirklichkeiten“ hervor.
In einem post-anthropozentrischen Weltbild könnte man sagen, dass nicht allein der Mensch Bedeutungen setzt, sondern dass Diskurse (die bei Foucault immer materiell unterfüttert sind – z.B. Institutionen, Architektur, Blicke) Realität strukturieren. Damit räumt Foucault dem Nicht-Menschlichen (etwa Institutionen oder Dispositiven) bereits eine Art von Agenz ein: Das Panoptikum-Gefängnis z.B. wirkt auf den Insassen ohne ständige menschliche Eingriffe – die Architektur selbst wird zum Akteur, der Verhalten formt. Hier berührt Foucault also eine Proto-Idee der Akteur-Netzwerk-Theorie, in der Objekte Handlungsmacht besitzen. Bruno Latour, einer der Protagonisten jener Theorie (s.u.), hat Foucaults Ansatz als Inspiration gesehen, Machtanalysen auf Dinge auszuweiten.
Die asymmetrischen Wirkverhältnisse sind geradezu Foucaults Spezialgebiet: Seine Analysen von Wahnsinn, Strafvollzug, Sexualität zeigen, wie in allen sozialen Beziehungen Ungleichgewichte herrschen – etwa Arzt/Patient, Wächter/Gefangener, Experte/Laie. Allerdings zeichnet Foucault ein komplexeres Bild als einfache Dominanzverhältnisse: Macht durchdringt alle Ebenen und selbst Widerstand gehört zum Spiel. Die Chiffre 51:49 könnte man als Anspielung darauf verstehen, dass immer ein Akteur etwas mehr Kontrolle hat, aber diese nie absolut ist. In Foucaults Mikrophysik der Macht gibt es keine totale Hegemonie: die Macht ist überall, aber nirgends allmächtig. Diese Sicht kann das post-anthropozentrische Denken bereichern, indem sie warnt, nicht in eine naive Egalität aller Wesen zu verfallen. Auch in einem dichten Geflecht können Knotenpunkte mehr Verbindungsstärke besitzen als andere – Foucault würde fragen: Welche diskursiven Knoten (Wissen, Normen) geben bestimmten Akteuren (evtl. dem Menschen, evtl. auch Technologie oder „der Umwelt“ in Gestalt von Expertenwissen) einen relativen Vorrang? Hier liegt ein Unterschied zu manchen posthumanen Ansätzen: Foucault behält stets den analytischen Blick für Hierarchien und Ausschlüsse, während z.B. radikale ANT-Verfechter zunächst methodisch alle Akteure gleich behandeln. Die Synthese beider wäre fruchtbar: ein Plexus-Denken, das dennoch asymmetrische Knoten mitdenkt – in Foucauld’schem Geist.
Im Hinblick auf ein physikalisch fundiertes Kommunikations- und Maßstabssystem bietet Foucaults Werk indirekte Anknüpfungspunkte. Seine Untersuchungen etwa zur Biopolitik zeigen, wie im 18./19. Jahrhundert die physische Population (Geburtenraten, Mortalität, milieu) zum Gegenstand von Wissens- und Machtsystemen wurde. Damit wurde der Mensch erstmals als biologisches Lebewesen in statistischen, physikalischen Maßstäben erfasst, anstatt als rein rechtliches Subjekt. Foucault beschreibt hier, wie sich ein Kommunikationssystem herausbildet (die „Politik der Gesundheit“, Statistik, Epidemiologie), das auf physischer Realität basiert – z.B. dem Umfeld (Milieu) der Bevölkerung, sanitären Bedingungen etc. Zwar bleibt dieser Diskurs immer noch anthropozentrisch (es geht um das Wohlergehen der menschlichen Bevölkerung), aber methodisch ist der Schritt interessant: Der Mensch wird als Teil eines materiellen Systems (Stadt, Umwelt, Nahrungsversorgung) verstanden, nicht mehr als losgelöster souveräner Geist. Ein post-anthropozentrisches Verständnis kann hier anschließen und diesen Gedanken erweitern: Inzwischen sprechen wir etwa von der Gesundheit ganzer Ökosysteme oder vom Erd-System, in dem der Mensch nur ein Parameter ist. Foucaults Konzept des Milieus (Umfelds) als Ziel von Machtpraktiken lässt sich übertragen: Heute versuchen wir das globale Milieu (Klima, Biodiversität) zu steuern, was einer Machtausübung über Maßstäbe hinweg entspricht – vom menschlichen Individuum bis zum Planeten, verbunden durch wissenschaftliche Kommunikationssysteme (Klimamodelle, Umweltmonitoring).
Zusammengefasst hat Foucault gegenwärtigen posthumanen Theorien vor allem methodisch etwas zu bieten: sein genealogischer Zugriff, der scheinbar naturgegebene Kategorien („Mensch“, „Vernunft“, „Wahrheit“) historisiert und relativiert, ist anschlussfähig, um anthropozentrische Denkmuster zu dekonstruieren.
Außerdem liefert seine Machtanalyse das Rüstzeug, um in den neuen Geflechten die feinen Machtasymmetrien (51:49-Konstellationen) herauszuarbeiten, statt eine flache „Demokratie der Dinge“ zu romantisieren.
Unterschiedlich ist sicherlich der Fokus: Foucaults Werke kreisen letztlich immer um den Menschen (als Subjekt der Moderne), während das post-anthropozentrische Projekt darüber hinaus will. Doch bereits Foucaults Vision vom Verschwinden des Menschen aus dem Zentrum der Diskursears.electronica.artdürfte heutigen Posthumanist:innen aus dem Herzen sprechen. Insofern kann man Foucault als Vordenker wider Willen eines Weltbildes lesen, das den Menschen in einem dichten Plexus aus Macht/Wissen/Sein auflöst.
Peter Sloterdijk: Sphären, Schäume und Maßstabsfragen des Humanen
Der Philosoph Peter Sloterdijk hat mit seiner Sphären-Trilogie (1998–2004) ein umfangreiches Werk vorgelegt, das die menschliche Existenz räumlich und systemisch neu denkt. Obwohl Sloterdijk kein klassischer Posthumanist ist, teilt er einige post-anthropozentrische Motive, insbesondere die Betonung von Relationalität und Maßstab.
Sloterdijks Ausgangspunkt ist eine Kritik an der abendländischen Philosophie seit Descartes, die das Subjekt absolut setzte und den Raum bzw. das Umgebende vernachlässigte. Dem setzt er die Idee entgegen, der Mensch sei vor allem ein „Wesen-im-Inneren“, d.h. immer eingebettet in atmosphärische, räumliche Hüllen oder Sphärenbluelabyrinths.combluelabyrinths.com. Er beschreibt in „Blasen“ (Band 1) die Mikrosphären: intime Zweisamkeiten wie Mutter-Kind-Dyaden oder enge Sozialbeziehungen, die eine gemeinsame Innenwelt schaffenbluelabyrinths.com.
In „Globen“ (Band 2) weitet er den Blick auf Makrosphären: ganze Kulturen, Nationen, religiöse Weltbilder, die als große Kugeln imaginiert werden – hier analysiert er die geschichtliche Vorstellung, der Mensch lebe unter einer gemeinsamen Weltkuppel (etwa im christlichen Weltbild oder im Bild des Globus)bluelabyrinths.combluelabyrinths.com.
Schließlich präsentiert er in „Schäume“ (Band 3) das Bild der modernen Welt als Schaum: unzählige aneinander grenzende Mikrosphären (Zellen, Bubbles), die kein einheitliches Ganzes (keine Kugel) mehr ergeben, aber dennoch durch dünne Wände miteinander verbunden sindbluelabyrinths.combluelabyrinths.com.
Sloterdijks Sphärentheorie ist anschlussfähig an das Plexus-Denken, weil sie die Idee der vielen verbundenen Einheiten stark macht. Sein Schaum-Metapher ähnelt dem Gedanken elastischer Gewebe: Jede Schaumblase (z.B. Individuum oder kleine Gemeinschaft) existiert nur durch die Anlehnung an andere Blasen, getrennt nur durch fragile Membranenbluelabyrinths.combluelabyrinths.com. Er spricht von Ko-Immunität und Ko-Fragilität: wir teilen uns gewissermaßen Wände mit unseren Nachbarn, und wenn das Gesamtgefüge instabil wird, sind alle betroffenbluelabyrinths.com. Das ist ein ausgesprochen relationales Weltbild, in dem Isolation eine Illusion ist. Sloterdijk formuliert es prägnant: „Sag mir, worin du eingetaucht bist, und ich sage dir, wer du bist“ – Identität entsteht durch das Milieu, das einen umgibtinference-review.com. Dieser Leitsatz klingt nach einem post-anthropozentrischen Selbstverständnis: Das Selbst ist kein Punkt, sondern ein Bereich innerhalb eines Mediums (sei es Luft, Gesellschaft, Netz). Damit rückt Sloterdijk den Menschen von einem absoluten Zentrum in ein Feld von Relationen.
Ein wesentlicher Beitrag Sloterdijks ist die Maßstabsproblematik. Er zeigt in Globen auf, wie das Denken in Größenskalen (Haushalt, Stadt, Weltreich, Weltall) die Selbsteinordnung des Menschen beeinflusstinference-review.cominference-review.com. Das traditionelle anthropozentrische Weltbild sah den Menschen eingebettet in einen geordneten Kosmos (eine von Gott oder Vernunft durchwaltete Weltsphäre, meist als Kugel gedacht). Mit der Moderne (Unendlichkeit des Universums, kopernikanische Wende) zerbrach diese Geborgenheit – die Kugel wurde unendlich groß und damit sinnentleertinference-review.com. Heute stehen wir, so Sloterdijk, vor der Herausforderung, unsere eigene von uns geschaffene Innenwelt (Technosphäre, Städte, globale Netze) zu verstehen, ohne noch an einen natürlichen „Schutzkokon“ zu glaubenbluelabyrinths.cominference-review.com. Hier schlägt Sloterdijk den Bogen zur Ökologie und Anthropozän-Debatte: Er diagnostiziert, dass mit dem Zeitalter der globalen Umweltkrisen die Vorstellung enden muss, die Natur sei bloß Hintergrund. Stattdessen erkennt der Mensch, dass er in einer künstlichen Klimahülle lebt, die er selbst produziert hat (Klimaanlagen, Städte, Emissionen bilden eine technische „Atmosphäre“)bluelabyrinths.com. Dies bezeichnet er als die neue Expilizitheit: Wir verstehen nun explizit, dass wir an Lebenserhaltungssysteme angeschlossen sind, die global und zerbrechlich sindbluelabyrinths.com. Damit wird Maßstab zum Politikum: Die Frage, wie groß „Welt“ ist und wer sie steuert, rückt ins Zentrum.
Sloterdijks Bild der ineinander verschachtelten Sphären und Schäume bietet somit eine anschauliche Skalierung des post-anthropozentrischen Denkens. Der physikalische Maßstab ist ihm sehr wichtig: Er diskutiert etwa Stadtarchitektur und Klimatisierung als konkrete Faktoren, die unsere Existenz bestimmenbluelabyrinths.com. Das heißt, er schaut sich physische Infrastrukturen (Gebäude, Belüftung, urbane Räume) als Teile des menschlichen Weltverhältnisses an – Kommunikation und Zusammenleben werden hier materiell fundiert. So erwähnt Sloterdijk etwa, dass der wahre Durchbruch des 20. Jahrhunderts die Erfindung der Klimatechnik und künstlichen Innenräume war, wodurch der Mensch angefangen hat, das Erdklima aktiv umzugestalten. bluelabyrinths.com. Dies deckt sich mit der Forderung nach einem Kommunikation/Koexistenz-System auf Basis physikalischer Realität: Wir müssen die Atmosphäre (im wörtlichen wie übertragenen Sinn) in unsere Theorien integrieren.
Was asymmetrische Verhältnisse angeht, so thematisiert Sloterdijk diese eher implizit. In den Sphären-Bänden geht es weniger um Macht als um Struktur. Dennoch kann man herauslesen, dass nicht alle Sphären gleich dominant sind: Einige sind umfassender (etwa die globale Kapital-Sphäre, die er in Im Weltinnenraum des Kapitals analysiert), andere sind zerbrechlicher (die intime Bubble ist leicht zu zerstören). In Schäume betont er, dass jedes Individuum sich in einem Nebeneinander anderer Individuen behaupten muss – eine Art Alltags-Anarchismus, wo jeder in seiner Zelle lebt, aber doch auf die gemeinsame Wand angewiesen istbluelabyrinths.com. Dieses Bild legt nahe, dass die Balance immer prekär ist und es innerhalb des Schaums sowohl Kooperation wie Konkurrenz gibt. Das könnte man als 51:49-Situationen deuten: Ein leichtes Ungleichgewicht kann darüber entscheiden, ob meine Sphäre expandiert oder die des Nachbarn. Sloterdijk geht allerdings weniger in Richtung Konfliktanalyse als etwa Foucault; sein Interesse ist eher phänomenologisch-ontologisch (Wie ist es, in Schaum zu leben?) und historisch-kulturell (Wie kamen wir dazu, so zu denken?).
Insgesamt liefert Sloterdijk einen reichhaltigen Begriffsapparat, der für das post-anthropozentrische Denken fruchtbar ist. Begriffe wie Sphäropoiesis (das Herstellen von Sphären), Immunitätsfigur (die Idee, dass Gemeinschaften als gegenseitiger Schutzraum fungieren) oder eben Schäume könnten verwendet werden, um Aspekte des Plexus (insbesondere die räumlich-skalar gedachten) genauer zu fassen.
Zudem ist Sloterdijks interdisziplinärer Ansatz – er verbindet Philosophie, Anthropologie, Theologie, Architektur und Medienteorie – ein Modell dafür, wie man Systemtheorie, Anthropologie und Umweltfragen zusammen denken kann. Seine Kooperation mit Bruno Latour (der gemeinsam mit ihm über Globes vs. Networks diskutierte) zeigt, dass hier Anschlüsse zu anderen Denker:innen explizit gesucht wurdenresearchgate.net. Unterschiede zum radikalen Posthumanismus bestehen darin, dass Sloterdijk den Fokus doch beim Menschen belässt (die Sphären sind menschengemacht, Tiere tauchen randständig auf) und gelegentlich sogar anthropotechnische Vorschläge macht, also Eingriffe in den Menschen selbst. Aber auch diese Idee der Anthropotechnik (Selbstdomestikation des Menschen) unterstreicht wiederum, dass der Mensch formbar und kein fixes Zentrum ist – in gewisser Weise eine post-anthropozentrische Einsicht.
Zusammenfassend kann man sagen: Sloterdijks Denken ergänzt das post-anthropozentrische Weltverständnis um die Dimension Raum und Maßstab. Es liefert plastische Metaphern für Vernetzung (Schaum, Blasen) und betont die Notwendigkeit, die Skalierung unserer Theorien zu überdenken – vom Mikrokosmos der Individuen bis zum Makrokosmos der Erde. Damit trägt es wesentlich dazu bei, ein Kommunikations- und Koexistenzsystem über verschiedene Ebenen zu konzipieren, das in physischer Realität verankert ist (Luft, Architektur, Klima) und zugleich die Verletzlichkeit und Relationalität aller Beteiligten anerkennt. bluelabyrinths.combluelabyrinths.com.
Gilbert Simondon: Individuation, Technik und Transduktion jenseits des Anthropozentrismus
Der französische Philosoph Gilbert Simondon ist lange Zeit ein Insidertipp geblieben, erfährt aber in den letzten Jahren verstärkte Aufmerksamkeit, insbesondere in Technikphilosophie und Medientheorie. Simondons Denken, geprägt durch sein Hauptwerk “L’individuation à la lumière des notions de forme et d’information” (1958) und “Du mode d’existence des objets techniques” (1958), bietet eine frühe und originelle Absage an Anthropozentrismus. Er kritisiert ausdrücklich die Tendenz, den Menschen als absolut getrennt von der Natur und Technik zu betrachtenjournal.media-culture.org.au. Stattdessen führt Simondon den Begriff der Individuation ein: Ein Individuum (sei es ein Mensch, ein Tier, ein Kristall oder gar ein technisches Gerät) ist nicht etwas von Beginn an Fertiges, sondern entsteht erst im Wechselspiel mit seiner Umgebung. Jede Individuation erfordert ein Milieu, aus dem sich Form und Struktur herauskristallisieren – es gibt keine absolute Innen-Außen-Trennung, vielmehr bringt ein metastabiler Gesamtzustand (ein Feld von Kräften, Spannungen, Information) ein Individuum hervor. journals.sagepub.comjournal.media-culture.org.au.
Simondon geht sogar so weit zu sagen, dass es kein eigenständiges Regime einer „menschlichen Individuation“ gibt, das fundamental anders wäre als biologische oder technische Individuationjournal.media-culture.org.au.
Hier greift er frontal anthropozentrische Annahmen an, z.B. die Sonderstellung des Menschen durch Sprache oder Bewusstsein: Diese unterscheiden den Menschen graduell, aber nicht prinzipiell vom Rest der Natur. So verwirft Simondon die scharfe Grenze zwischen Psyche und Lebewesen – er sieht das Psychische als Fortsetzung des Biologischen, nicht als getrennte Sphärejournal.media-culture.org.au.
Damit wird der Mensch wieder kontinuierlich mit der Natur verbunden, ähnlich wie es heutige Posthumanisten fordern.
Ein besonderer Aspekt bei Simondon ist die Rolle der Technik. Er plädiert dafür, technische Objekte nicht als bloße passive Werkzeuge des Menschen zu betrachten, sondern als eigene Realität, die am Prozess der Vergesellschaftung und Individuierung beteiligt ist. journal.media-culture.org.au.
Technik ist für ihn ein Vermittler zwischen Mensch und Weltjournal.media-culture.org.au – etwa eine Kamera, die neue Wahrnehmungswelten schafft, oder eine Maschine, die mit ihrer Umgebung (Energie, Materialien) einen Gleichgewichtszustand finden muss. Der Mensch steht nicht über der Technik, sondern lernt von ihr und ko-evolviert mit ihr. Diese Sicht war visionär: Sie antizipiert spätere Debatten über technische Mediation (wie bei Latour) oder den cyborg-haften Menschen (Haraway).
Für unser post-anthropozentrisches Thema heißt das: Simondon stellt den Menschen auf eine Ebene mit technischen und natürlichen Prozessen – alle drei Bereiche (das Natürliche, das Technische, das Psychische) sind Felder, in denen sich Individuen bilden, interagieren und zu größeren Systemen zusammenschließen. Das ist ein echter Plexus-Gedanke: Mensch, Maschine, Umwelt als Knoten eines einzigen Gewebes.
Sehr spannend ist bei Simondon das Konzept der Transduktion und Informationsverarbeitung. Er sieht den Vorgang der Individuation als Informationsaustausch, bei dem Differenzen (Ungleichgewichte) schrittweise aufgelöst oder stabilisiert werden. Um ein Beispiel zu geben: Ein übersättigter Salzwasserlösungskristallisiert, indem irgendwo ein minimaler Anstoß (Fluktuation) entsteht – diese kleine Asymmetrie breitet sich dann als geordnete Struktur aus (der wachsende Kristall).
Dieses Schema – ein initiales Ungleichgewicht ändert das ganze System – ist direkt übertragbar auf 51:49-Verhältnisse. Simondon würde vermutlich sagen: Jedes System benötigt ein gewisses Potenzialgefälle (Disparität), damit überhaupt etwas Neues entstehen kann. Vollkommene Symmetrie ist statisch und steril. Erst eine kleine Differenz (sei es eine Übersättigung, eine Spannung, ein Informationsunterschied) ermöglicht Entwicklung. Damit liefert Simondon eine philosophische Fundierung der Asymmetrie: sie ist die Triebkraft jeder Genesis. Hier verbindet sich sein Denken mit dem unseren: Die Idee, dass 51:49-Konstellationen kreativ und produktiv sind, fände bei Simondon theoretische Unterstützung.
Weiters betont Simondon die Vernetzung der Individuen zur „Transindividuellen“. Ein Mensch wird erst durch Vergesellschaftung mit anderen Menschen vollständig individuiert (er gebraucht sogar das Wort “Transindividuation”).
Somit existiert der Einzelne nur als Teil eines kollektiven Netzwerks – ein klarer Bruch mit individualistischen Anthropozentrismus. Auch technische Objekte bilden Netzwerke (man denke an Stromnetze, Verkehrssysteme), und lebende Wesen stehen in ökologischen Netzen. Obwohl Simondon nicht den Begriff Ökosystem im modernen Sinne verwendet, impliziert seine Theorie so etwas: Individuen erzeugen und benötigen einander in gemeinsamen Umwelten. Das Gewebe ist also überall: im Kleinsten (der Kristallbildungsprozess) wie im Größten (Gesellschaft als Konglomerat von Mensch und Technik).
Auf die physikalische Realität legt Simondon ebenfalls großen Wert. Seine gesamte Begrifflichkeit entstammt der Physik, Thermodynamik und Informationstheorie seiner Zeit. So beschreibt er Individuation mit Begriffen wie Metastabilität, Entropie, Potential – er verankert also philosophische Einsichten in physikalischen Prozessen.
Ein post-anthropozentrisches Kommunikations- und Maßstabsystem kann hiervon profitieren, indem es Simondons Konzept der Information nutzt. Bei Simondon ist Information nicht bloß Datenübertragung, sondern das Wirksamwerden einer Form: Information realisiert sich, wenn sie eine Struktur verändert. Ähnlich ist Kommunikation hier ein realer Vorgang, der Sender und Empfänger gleichzeitig konstituiert. In moderner Lesart könnte man sagen: Simondon bietet eine Theorie der materialen Kommunikation, lange bevor Begriffe wie intra-action (Barad) oder affordance (Gibson) populär waren.
Heute wird Simondon u.a. von Medien- und Techniktheoretikern aufgegriffen, weil er hilft, die Verhältnisse von Mensch–Technik–Natur neu zu denken. Beispielsweise knüpfen Theorien der sozio-technischen Individuation oder der technischen Ökologie an ihn an, um Phänomene wie Künstliche Intelligenz oder Biotechnologie nicht anthropozentrisch (Werkzeug-Perspektive), sondern als eigenaktives System in Wechselwirkung mit uns zu begreifen. journal.media-culture.org.au.
Für das hier diskutierte Weltverständnis ist Simondon beinahe ein Gewährsmann avant la lettre: Er liefert prägnante Begriffe wie “assoziiertes Milieu” (die Umwelt, die ein Individuum mit konstituiert), “Konkretion” (die fortschreitende Anpassung eines technischen Objekts an sein Milieu, was seine Effizienz steigert) oder “Allagmatik” (allgemeine Lehre der Wechselbeziehungen), die man nutzen kann, um die plexusartige Verbindung aller Dinge zu beschreiben.
Auch methodisch lehrt Simondon, Interdisziplinarität zu wagen – er zog Biologie, Physik, Psychologie, Technik gleichermaßen heran. Das entspricht dem transdisziplinären Anspruch, den ein post-anthropozentrisches Weltbild einlösen muss, um nicht in einem Teilgebiet steckenzubleiben.
Der Unterschied zu Autoren wie Haraway oder Latour liegt vor allem in der historischen Rezeptionszeit: Simondon argumentierte in den 1950ern, ohne den politischen und kulturellen Horizont von Umweltkrisen oder KI, wie wir ihn heute haben. Seine Sprache ist technikphilosophisch-abstrakt und weniger narrativ.
Dennoch sind viele seiner Ideen – wie gezeigt – erstaunlich kompatibel. Man kann sagen, die gegenwärtige Forschung bestätigt und erweitert Simondons Vision: Sie behandelt lebendige und technische Netzwerke nun mit empirischem Material (etwa Studien zu Mensch-Maschine-Interaktionen, sozio-technische Netzwerkanalysen) und integriert ökosystemare Aspekte (Simondon sprach kaum über Umweltethik, was aber anschlussfähig wäre, da er keine Trennung vornimmt).
Somit kann der Vergleich mit Simondon dazu dienen, dem post-anthropozentrischen Denken eine solide philosophische Basis zu geben, die monistische Züge hat (ein einziger Wirklichkeitsprozess, in dem Mensch, Tier, Ding nur unterschiedliche Stadien oder Ausschnitte sind). Seine Betonung von Differenz und Relation statt Substanz liefert genau das theoretische Rüstzeug, um das 51:49-Plexus-Modell konsistent zu begründen. journal.media-culture.org.au.
Bruno Latour: Akteur-Netzwerke und das Parlament der Dinge
Bruno Latour, französischer Anthropologe und Wissenschaftssoziologe, ist einer der einflussreichsten Denker, wenn es um das Aufbrechen der Natur-Kultur-Trennung und die Aufwertung nicht-menschlicher Akteure geht.
Sein Name ist untrennbar mit der Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) verbunden, die einen paradigmatischen post-anthropozentrischen Ansatz darstellt. Latour schlägt vor, Menschliches und Nicht-Menschliches symmetrisch zu analysieren: In Netzwerken von Handlung sind nicht nur Menschen Akteure (actants), sondern ebenso Objekte, Artefakte, Tiere, etc. antonisch.wordpress.com.
In seinem Werk Wir sind nie modern gewesen (1991) argumentiert er, dass die moderne Trennung in ein Reich der Menschen (Kultur, Subjekt) und ein Reich der Dinge (Natur, Objekt) eine Fiktion ist – in Wahrheit leben wir in Kollektiven, in denen Menschen und Dinge unauflöslich vernetzt sind. Ein oft zitiertes Beispiel Latours ist der Türschließer: Dieses technische Objekt übernimmt die Handlung des Tür-Zuschließens, die früher ein Portier (Mensch) tat. Damit wird deutlich, dass Handlungsmacht verteilt ist und wir ohne Dinge gar nicht die Welt hätten, die wir haben. Latour betont: „Der liebe Gott steckt im Detail“ – soll heißen, in den konkreten Verkettungen von Menschen und Nicht-Menschen realisiert sich Gesellschaft.
Die Plexus-Idee findet in Latours Netzwerkbegriff eine methodische Zuspitzung.
Wo wir metaphorisch von einem Gewebe sprechen, hat Latour ein ganzes Instrumentarium entwickelt, um Netzwerke empirisch zu verfolgen (etwa in Laborstudien). Das ANT-Prinzip lautet: folge den Verknüpfungen! Dabei gilt, kein a priori Unterschied in der Art der Akteure zu machen (Generalized Symmetry)antonisch. wordpress.com.
Diese radikale Offenheit ist vollauf post-anthropozentrisch: Ein hungriger Eisbär, ein Gesetzestext, ein Forscher, ein Virus – alle können im richtigen Kontext zu entscheidenden Aktanten werden, deren Interaktionen man symmetrisch beschreiben kann. Hier schwingt natürlich nicht mit, dass alle moralisch gleichwertig wären (Latour spricht nicht von Ethik anfangs, sondern von Ontologie und Soziologie), aber er legt damit die Grundlage, um überhaupt etwa Umweltakteure ernst zu nehmen.
Inzwischen hat Latour sich explizit der politischen Ökologie zugewandt: In Das Parlament der Dinge (1999) und jüngst où atterrir? / Down to Earth (2017) fordert er, den nicht-menschlichen Entitäten eine Stimme im politischen Prozess zu gebene-flux. com. Sein Konzept eines „Parlaments der Dinge“ ist direkt anschlussfähig an Umweltethik: Flüsse, Tiere, Atmosphären sollen durch Sprecher vertreten werden, sodass Entscheidungsnetzwerke multispezies werden.
In Bezug auf asymmetrische Wirkverhältnisse bietet Latours Ansatz sowohl Bestätigung als auch Kontrast.
Einerseits verzichtet ANT zunächst auf Hierarchisierungen – das ist gerade die Stärke: nicht schon vorher zu wissen, wer 51 und wer 49 Prozent Einfluss hat, sondern es im Netzwerk herauszufinden.
Andererseits zeigen seine Fallstudien immer wieder, dass einige Aktanten Netzwerkknotenpunkte werden, die erheblich mehr Verbindungen und damit Wirkungsmacht besitzen. In Science in Action beschreibt er zum Beispiel, wie ein wissenschaftliches Faktum sich durchsetzt, indem es immer mehr Allianzen mit Laborgeräten, Artikeln, Zitaten, Institutionen eingeht – schließlich hat es “eine Armee von Verbündeten” und ist fast unangreifbar.
Hier manifestiert sich eine Asymmetrie im Netzwerk: wer die meisten Verbündeten hat, gewinnt (man könnte sagen: 51% der Knoten unterstützen diesen Akteur, 49% einen anderen). Latour scheut zwar vor einfachen Metaphern zurück, aber Konzepte wie „Obligatory Passage Point“ (ein Knoten, über den alle anderen sich verbinden müssen) zeigen, dass seine Netzwerke nicht egalitär-flach sind, sondern durchaus Machtkonzentrationen kennen – nur eben verteilt auf Menschen und Dinge.
So gesehen ist das 51:49-Prinzip voll mit Latour vereinbar: In einem heterogenen Kollektiv kann ein Faktor (z.B. eine bestimmte Technologie) den Ausschlag geben, solange eine knappe Mehrheit an Kräften sich in diese Richtung organisiert. Ein Beispiel wäre die gesellschaftliche Abhängigkeit vom Smartphone: Die Technik hat sich so verbreitet (ein Netzwerk dichtester Verbindungen), dass die „Macht“ in gewissem Sinne bei den technischen Infrastrukturen liegt – der Mensch ist auf Anschluss (49%) gehalten, sonst verliert er Teilhabe.
Latours physischer Kommunikationsbegriff – er spricht von “Translation” statt bloßer Übermittlung – passt ebenso gut zum post-anthropozentrischen Kommunikationsmodell. Jede Übersetzung in einem Netzwerk (etwa wenn ein Messinstrument ein Signal in eine Zahl übersetzt, die ein Wissenschaftler dann in einen Artikel übersetzt) verändert die Botschaft und kreiert neue Realität. Kommunikation ist also kein neutraler, vom Menschen kontrollierter Fluss, sondern ein Stafettenlauf durch verschiedene materielle Medien. Latour zeigt das schön in seiner Analyse eines Patentantrags (in Pandora’s Hope), wo Bodenproben, Zahlenwerte, Diagramme, Berichte, Regierungsentscheidungen etc. einen lückenlosen Kommunikations- und Transformationsprozess bilden.
Das ist genau die Integration von materieller Realität in Kommunikationsprozesse, die wir suchen. Nicht nur der Inhalt, auch die materielle Form (Maßstab, Medium) ist Teil der Aussage – der „Umweg“ durch die physischen Vorgänge ist konstitutiv für Bedeutung.
In der aktuellen Forschung ist Latours Einfluss enorm. Seine ANT wird in Soziologie, Geografie, Anthropologie, STS (Science and Technology Studies) angewandt, um Phänomene vom Verkehrssystem bis zur Klimapolitik zu untersuchen.
Besonders in der politisch-philosophischen Diskussion um das Anthropozän und die Gaia-Hypothese hat Latour sich zu Wort gemeldet: Er schlägt vor, die Erde nicht als statischen Hintergrund, sondern als aktiven Spieler (Gaia) zu begreifen, der allerdings kein einheitlicher Organismus wie bei Lovelock ist, sondern ein Zusammenspiel vieler Agentene-flux. come-flux.com.
Damit reiht er sich in die post-anthropozentrischen Denker ein, die den Menschen in ein Geflecht globaler Akteure stellen. Sein Begriff der „Kritischen Zone“ (eine dünne Schicht auf der Erdoberfläche, wo Leben gedeiht) bringt den physikalischen Maßstab ins Spiel: Er erdet sozusagen die Debatte wortwörtlich „auf der Erde“ und fordert Wissenschaften auf, transdisziplinär diese Zone zu verstehen. Das ist anschlussfähig an Umweltethik und Systemökologie – im Grunde ruft Latour nach einer Art Gaia-Systemtheorie, bei der aber keine Instanz das Ganze steuert (keine 100:0 Vormacht des Menschen), sondern viele 51:49 Aushandlungen lokal passieren.
Die Überschneidungen mit anderen Denkern sind bei Latour teilweise explizit: Er bezieht sich auf Haraway (etwa wenn er ihre Idee der „Parliament of Things“ erwähnt, obwohl sie selbst von ihm beeinflusst war)e-flux.com, er diskutierte mit Sloterdijk (Netz vs. Sphäre), er wird von Barad rezipiert (in Konzepten wie Materielle Semiotik).
Das zeigt, dass Latours Werk ein zentrales Knotenpunkt-Theorie im post-anthropozentrischen Diskurs geworden ist. Unterschiede gibt es in der Herangehensweise: Latour vermeidet z.B. den moralisch-normativen Impetus lange Zeit und blieb beim Beschreiben der Netzwerke. Erst in jüngeren Arbeiten (wie Facing Gaia) wendet er sich offener der Frage zu, wie wir politisch handeln sollen in einer Welt, wo das Netz der Akteure so verteilt ist. Hier hat er sich z.B. mit Isabelle Stengers oder Donna Haraway zusammengefunden in der Diagnose, dass neue Koalitionen mit dem Nicht-Menschlichen nötig sind.
Für das post-anthropozentrische Welt- und Selbstverständnis liefert Latour somit sowohl theoretische Grundprinzipien (Symmetrie, Netzwerk, Translation) als auch konkrete Anwendungsvisionen (Parlament der Dinge, ökologische Kollektive).
Sein Werk bestätigt die Fundierung in aktueller Forschung: Es gibt zahllose empirische Studien unter dem ANT-Banner, die genau die Art von elastischem Gewebe aus heterogenen Akteuren beschreiben, von dem wir sprechen. simplypsychology.org.
Wenn man also das vorgestellte Modell (Plexus, asymmetrische Beziehungen, physikalische Kommunikation) anschlussfähig in der Wissenschaft verorten will, ist Latours Vokabular ein natürlicher Verbündeter. Begriffe wie Akteur-Netzwerk, Hybrid (Mischwesen aus Natur und Kultur), Black Box (stabile Knoten im Netz) sind kompatibel und könnten direkt verwendet werden, um post-anthropozentrische Phänomene zu analysieren. Die Herausforderung bleibt, wie bei Latour, diese Sicht auch normativ fruchtbar zu machen – aber hier helfen dann wiederum Ethiker:innen und politische Theoretiker.
Umweltethik, Anthropologie und Kybernetik: Interdisziplinäre Resonanzen
Neben den genannten prominenten Theoretiker:innen gibt es ganze Disziplinen, die ein post-anthropozentrisches Denken vorbereitet und untermauert haben. Ein kurzer Blick auf drei wichtige Bereiche – Umweltethik, philosophische Anthropologie und Kybernetik/Systemtheorie – soll zeigen, dass die Grundgedanken des Plexus, der relationalen Asymmetrie und der physikalischen Fundierung dort breite Unterstützung finden.
In der Umweltethik wurde seit den 1970er Jahren explizit die Vormachtstellung des Menschen in Frage gestellt. So propagiert die Tiefenökologie (Arne Næss) einen Wechsel von Anthropozentrismus zu Ökozentrismus: Allen Lebewesen kommt innerer Wert zu, unabhängig von ihrem Nutzen für den Menschenen.wikipedia.org.
Die Natur ist kein blosser Ressourcenpool, sondern ein Geflecht an sich wertvoller Existenzen. Damit geht einher, dass der Mensch moralisch entthront wird – er ist nur ein Glied im biosphärischen Netzwerk, nicht Endzweck aller Schöpfung. plato.stanford.eduplato.stanford.edu.
Umweltethiker wie Holmes Rolston oder Val Plumwood haben betont, dass wechselseitige Abhängigkeit in ökologischen Systemen bedeutet, dass unsere Verantwortung sich auf das ganze Netz erstrecken muss, nicht bloß auf Mitmenschen. Plumwood spricht von der Notwendigkeit, die „Hypertrennung“ zwischen Mensch und Natur zu überwinden, und fordert eine philosophische Demut des Menschen als Teil der Nahrungskette.
Diese Sicht passt genau zu einem Plexus-Denken: Der Mensch ist Mitglied der Bio-Gemeinschaft, kein Außenstehender.
Die Asymmetrie kommt in Umweltethik-Debatten etwa bei der Diskussion schwacher vs. starker Anthropozentrismus auf: Ein schwacher Anthropozentrismus gesteht zwar der Natur Wert zu, aber immer noch weniger als dem Menschen (also z.B. 51:49 zugunsten des Menschen). plato.stanford.edu.
Viele Umweltethiker argumentieren jedoch für einen möglichst gleichwertigen Status von Mensch und Nicht-Mensch (Biozentrismus). Interessanterweise könnte die 51:49-Idee hier vermittelnd wirken: Sie anerkennt, dass Menschen faktisch eine besondere Rolle haben (als verantwortungsfähige Akteure, die planetar viel bewegen können), ohne diese Rolle philosophisch zu absolutieren.
Schließlich betont auch die Umweltethik physische Realitäten: Themen wie Klimagerechtigkeit oder Artenschutz basieren auf biologischen und geologischen Fakten, an denen ethische Überlegungen anknüpfen. Die Umweltethik liefert also den normativen Überbau eines post-anthropozentrischen Weltverständnisses, indem sie fragt: Wie sollen wir leben, wenn wir nur ein Knoten im Netz sind? Antworten gehen Richtung Kooperation mit der Natur, Respekt vor dem Eigenwert des Nicht-Menschlichen und Verantwortung für das Ganze.
Die Anthropologie – insbesondere neuere Strömungen wie die multispecies ethnography oder die Beschäftigung mit indigenen Kosmologien – hat ebenfalls den Anthropozentrismus relativiert.
Ethnologen wie Eduardo Viveiros de Castro oder Philippe Descola haben gezeigt, dass viele indigene Gesellschaften den Menschen nicht als überlegen betrachten, sondern als Verwandten oder Partner anderer Wesen (Stichwort: Perspektivismus, Animismus).
Das westliche Konzept einer scharfen Natur/Kultur-Trennung erweist sich als kulturelle Besonderheit, nicht als universale Gegebenheit.
Diese Erkenntnis untermauert philosophisch, dass unser eigener Anthropozentrismus dekonstruiert werden kann – andere Kulturen leben im „Plexus“ seit jeher, indem sie z.B. Tieren und Pflanzen Agentenschaft oder Personhood zuschreiben. Die neuere Anthropologie spricht daher von „mehr-als-menschlichen Welten“, die es ethnografisch zu erforschen gilt. ceeol.comlink.springer.com.
Forschungen über Mensch-Tier-Beziehungen, über heilige Landschaften oder über die Verteilung von Sensibilität im Ökosystem liefern reiche Beschreibungen, wie ein post-anthropozentrisches Leben aussehen kann.
Anthropolog:innen wie Anna Tsing (mit The Mushroom at the End of the World) oder Eben Kirksey (mit Emergent Ecologies) beschreiben komplexe Lebensgemeinschaften, in denen Menschen nur eine Episode unter vielen darstellen.
Die Anthropologie bringt zudem methodisch partizipative Beobachtung ein, die auf Kommunikation mit nicht-menschlichen Akteuren erweitert wird – man versucht beispielsweise, Tiere als Mit-Autorinnen* der Forschung zu betrachten (durch Tracking, durch Berücksichtigung ihrer Handlungsabläufe).
Dies sind innovative Ansätze, um das Kommunikationssystem nicht auf menschliche Sprache zu verengen. Zwar bleibt die Frage, wie man z.B. „von der Perspektive eines Baumes“ erzählen kann, eine Herausforderung, aber allein der Versuch bricht die epistemische Asymmetrie (immer nur der Mensch spricht) etwas auf.
So liefert die Anthropologie Geschichten und empirische Evidenz dafür, dass das hier entworfene Weltbild nicht reine Theorie ist, sondern gelebte Wirklichkeit in diversen Kontexten – und sie zeigt, wie anschlussfähig es für kulturelle Praktiken ist.
Die Systemtheorie und Kybernetik schließlich haben schon seit Mitte des 20. Jahrhunderts den Rahmen abgesteckt, in dem post-anthropozentrisches Denken sich technisch und wissenschaftlich bewegt. Norbert Wieners Kybernetik formulierte 1948 das Programm, Tiere und Maschinen unter einem Regelungs- und Kommunikationsbegriff zu fassenreddit.com.
Diese Gleichsetzung war ein Tabubruch gegenüber der humanistischen Tradition: Plötzlich wurden Menschen, Tiere und Artefakte auf einer abstrakten Ebene vergleichbar – sie alle konnten als Systeme mit Rückkopplung beschrieben werden. Das half, anthropozentrische Annahmen (nur Menschen hätten Intentionalität oder Zweckmäßigkeit) zu relativieren. Später entwickelten sich die Systemtheorie (Bertalanffy, später Luhmann) und die zweite Ordnung Kybernetik (Heinz von Foerster, Gregory Bateson), die beide den Beobachter selbst als Teil des Systems begreifen. Bateson, wie oben erwähnt, postulierte die Einheit von Organismus und Umwelt als grundlegendes „Selbst“ der Evolution. labster8.net.
Er erweiterte den Konzept von Mind auf ökologische Systeme (Ökologie des Geistes), was bedeutet, Denken und Kommunikation sind nicht im Einzelhirn eingeschlossen, sondern im Netzwerk (z.B. zwischen Orchidee und Bestäuber, wie Bateson’s berühmtes Beispiel). Damit war klar: Information ist überall verteilt, nicht nur in menschlichen Köpfen.
Luhmann ging noch weiter und erklärte den Menschen zum „Umweltfaktor“ der Gesellschaft – Kommunikationen laufen systemisch ab, Personen sind austauschbar. Soziologisch radikalisiert er das Postanthropozentrische, indem er den einzelnen Menschen aus der Innenbetrachtung der Gesellschaft ausklammert; das Sozialgeschehen ist ein autopoietisches Kommunikationsnetz, das freilich mit der Psyche der Individuen strukturell gekoppelt ist.
Solche systemtheoretischen Modelle untermauern die Vorstellung, dass Relationen und Informationsflüsse primär sind, nicht isolierte Wesen.
Auch die Asymmetrie lässt sich hier fassen: In Systemen gibt es Regler und Regelgrößen, Rückkopplungen können positiv (verstärkend, möglicherweise destabil bis ein Pol dominiert) oder negativ (dämpfend, stabilisierend) wirken.
Das klingt technisch, bildet aber reale Phänomene ab, z.B. ökologische Kaskaden. Ein kybernetisches Prinzip wie das Gesetz der erforderlichen Varietät (Ross Ashby) besagt: Ein Regulator muss mindestens so komplex sein wie das System, das er steuert. Übertragen heißt das, dass der Mensch allein zu simpel ist, um das Erd-System zu steuern – nur ein Netzwerk vielfältiger Akteure (Mensch + Technik + Natur zusammen, mit all ihrer Varietät) kann der Komplexität der Erde gerecht werden. Dies liefert ein rationales Argument für die Einbindung nicht-menschlicher Intelligenz (sei es KI, kollektive Intelligenz oder natürliche Selbstregulation) in unsere Steuerungsmodelle.
Systemtheorie und Kybernetik tragen auch die Idee der skalaren Vernetzung: Von Zelle zu Organismus zu Ökosystem kann man viele Prinzipien (wie Rückkopplung, Selbstorganisation) wiederfinden – was wiederum die Trennung der Maßstäbe relativiert. In der Praxis zeigt sich das in Disziplinen wie der Erdsystemwissenschaft, die Klimamodelle als Netzwerke von Atmosphäre, Biosphäre, Ozeanen usw. konstruiert und den Menschen als einen Parameter unter vielen einbezieht (Anthropogene Emissionen als Input, aber keine Sonderrolle im Modell).
Ebenso in der KI-Forschung: neuronale Netze ahmen Gehirne nach, die ja ebenfalls neuronale Netze sind – die formale Ebene des Netzes vermittelt hier zwischen Technik und Natur.
In Summe stützen also auch diese disziplinären Perspektiven das hier erörterte post-anthropozentrische Verständnis.
Philosophie, Anthropologie, Umweltethik, Systemtheorie – sie alle liefern Puzzleteile zu einem Bild, in dem der Mensch dezentriert im Geflecht sitzt, in dem asymmetrische, aber wechselseitig abhängige Beziehungen dominieren, und in dem physische Realität (seien es molekulare Signale, ökologische Stoffkreisläufe oder technische Codes) die Grundlage dessen bildet, was wir Kommunikation und Weltverhältnis nennen.
Fazit
Die vergleichende Betrachtung zeigt deutlich, dass die Gedankengänge eines post-anthropozentrischen Welt- und Selbstverständnisses – gedacht als elastisches Netzwerk (Plexus), durchzogen von asymmetrischen Einflüssen (51:49) und verankert in materiellen Realitäten – in der gegenwärtigen Forschung auf vielfache Weise vorweggenommen, ausgearbeitet und bestätigt worden sind.
Führende Denker:innen aus unterschiedlichen Feldern haben übereinstimmend daran gearbeitet, den Menschen aus seinem epistemischen und ontologischen Mittelpunkt herauszulösen und ihn als Teil komplexer Gefüge zu verstehen.
Gemeinsamkeiten: Ob Haraways Verflechtungen von Spezies. genealogy-critique.net, Barads quantenphilosophische Entgrenzung des Beobachters. genealogy-critique.net, Foucaults Macht-Netze, Sloterdijks Sphären und Schäumebluelabyrinths.com, Simondons Individuationskollektive. journal.media-culture.org.au oder Latours Akteur-Netzwerke. simplypsychology.org – alle rücken Relationen ins Zentrum, betonen die Ko-Konstitution von Mensch und Welt und verwerfen eine klare Sonderstellung des Menschen.
Die Vorstellung eines Gewebes des Seins ist allgegenwärtig: Mal als biologisches Ökosystem, mal als Diskursformation, mal als technisches Netzwerk, mal als spirituelle Verbundenheit.
Auch dass Ungleichgewichte kreativer Motor und notwendige Realität in diesen Netzen sind, taucht implizit überall auf: bei Foucault in Gestalt allgegenwärtiger Machtgefälle, bei Simondon als „Disparation“ für jede Entwicklung, bei Haraway als ständiger Aushandlungsbedarf in Symbiosen, bei Latour als Konzentration von Netzwerkmacht an Knoten.
Und schließlich teilen viele dieser Denker:innen einen Respekt für die materielle Basis: Sie nehmen Naturwissenschaften ernst (Barad, Simondon), betrachten räumliche und physische Bedingungen (Sloterdijk), oder wenden sich gar ausdrücklich global-ökologischen Fragen zu (Haraway mit dem Chthuluzän, Latour mit Gaia). Somit kann das post-anthropozentrische Denken sich auf eine breite Grundlage stützen.
Unterschiede: Trotz aller Überschneidungen gibt es feine Unterschiede in Perspektive und Schwerpunkt. Haraway und Barad kommen aus einer feministisch geprägten Theorietradition und legen Wert auf Fragen der Gerechtigkeit, Körperlichkeit und Responsibilität, während Latour eher aus einer soziologisch-ethnografischen Ecke kommt und zunächst wertfrei beschreiben will, was ist.
Foucaults Fokus lag auf historischen Diskontinuitäten und sozialen Institutionen, weniger auf Natur oder Technik – er liefert also eher eine analytische Haltung als konkrete Vision der Mensch-Natur-Verhältnisse.
Sloterdijk operiert mit Metaphern und grandiosen kulturgeschichtlichen Narrativen, die inspirierend sind, aber nicht immer empirisch greifbar (hier könnten die detailgenauen Studien Latours oder der Anthropologen konkreter sein).
Simondon schließlich ist sehr abstrakt-technisch in seiner Terminologie, was den Zugang erschweren kann – hier helfen die anschlussfähigen neueren Interpretationen, seine Gedanken greifbarer zu machen. Und natürlich variiert die Terminologie erheblich:
Wo die einen von „Verwandtschaft“ (Haraway) sprechen, reden andere von „Assemblagen“ (Latour) oder „Transduktionen“ (Simondon). Diese Vielfalt ist jedoch eher Stärke als Schwäche, denn sie bietet einen reichen Begriffs-Werkzeugkasten.
Das post-anthropozentrische Denken kann sich bei jedem etwas „ausleihen“: Haraways Sympoiesis für ko-kreative Prozesse, Barads Intraaktion für untrennbare Beziehungen, Foucaults Dispositiv um Macht/Material-Konstellationen zu begreifen, Sloterdijks Sphärendenken für Maßstab und Raum, Simondons Individuation für Prozessualität, Latours Parlament der Dinge für politische Inklusion des Nicht-Menschlichen.
Besonders anschlussfähige Begriffe und Perspektiven lassen sich abschließend hervorheben.
Der Begriff Netzwerk/Plexus selbst ist durch Latour & Kollegen wissenschaftstauglich gemacht worden und kann übernommen werden, um die Idee des elastischen Gewebes analytisch zu fassen.simplypsychology.org. Haraways multispezies Kinship und Sympoiesis liefern ein ethisches und ökologisches Vokabular, das die Verbundenheit feiert ohne naiv zu sein. genealogy-critique.net. Barads Agential Realism gibt einen methodischen Rahmen, wie man Materie und Bedeutung zusammen denken kann, sodass physikalische Realität integraler Bestandteil jeder Analyse wirdgenealogy-critique.net. Foucaults Machtbegriff bleibt unerlässlich, um kritisch zu prüfen, wo trotz aller neuen Netzwerke Dominanzen und Exklusionen bestehen – sein Ansatz sichert, dass Post-Anthropozentrismus nicht blind für Ungerechtigkeiten wird (sei es zwischen Menschen oder Spezies). Sloterdijks Sphären- und Schaummetaphern könnten helfen, die oft abstrakten Netzwerkideen anschaulich zu kommunizieren und um die Dimension Raum zu erweiternbluelabyrinths.com. Simondons Prozessdenken schließlich stellt sicher, dass wir von statischen Bildern wegkommen – Begriffe wie Metastabilität oder Transindividuelles drücken schön aus, dass ein Plexus immer in Bewegung ist und Individuen nur Momentaufnahmen von Beziehungsprozessen sind. journal.media-culture.org.au.
Auch methodologisch bieten einige Ansätze Anschlussfähigkeit: Etwa Barads diffraktive Methode (Analysen überlagern und interferieren lassen) oder Latours “Follow the actors”-Prinzip, welches im Grunde sagt: folge dem Plexus, wohin er dich führt, ohne Vorannahmen. Solche methodischen Vorschläge passen zum explorativen, vernetzten Gegenstand.
Abschließend lässt sich festhalten, dass ein post-anthropozentrisches Welt- und Selbstverständnis heute kein spekulativer Außenseiteransatz ist, sondern im Gegenteil auf fundierten wissenschaftlichen Diskursen aufbaut.
Die skizzierten Konzepte finden sich – teils unter anderem Namen – bei einer ganzen Reihe einflussreicher Denker:innen wieder und werden in Philosophie, Sozial- und Naturwissenschaften intensiv diskutiert und weiterentwickelt.
Die Herausforderung besteht weniger darin, theoretische Anknüpfungspunkte zu finden, als vielmehr darin, diese reichhaltigen Ansätze zu integrieren und möglicherweise zu überführen in einen kohärenten Rahmen, der dem 21. Jahrhundert gerecht wird.
Angesichts von Klimakrise, technologischer Durchdringung und planetarer Vernetzung war der Abschied vom Anthropozentrismus nicht nur eine intellektuelle Laune, sondern er erweist sich als notwendiger Schritt, um unsere heutige Lage zu verstehen und verantwortlich zu handeln.
Indem wir die genannten Theorien in Dialog bringen und die Schnittmengen nutzen, können wir ein Weltbild entwerfen, in dem der Mensch zwar nicht mehr Herrscher und Maß aller Dinge ist, aber als reflexiver Knotenpunkt in einem lebendigen Geflecht vielleicht umso besser begreift, was zu tun ist – gemeinsam mit und nicht gegen die vielen “Anderen” in diesem Netz des Lebens. genealogy-critique.net.
Literatur und Quellen:
- Barad, Karen. Meeting the Universe Halfway: Quantum Physics and the Entanglement of Matter and Meaning. Duke University Press, 2007.
- Bateson, Gregory. Steps to an Ecology of Mind. Chandler, 1972labster8.net.
- Descola, Philippe. Jenseits von Natur und Kultur. Suhrkamp, 2011.
- Foucault, Michel. Die Ordnung der Dinge. Suhrkamp, 1974 (frz. 1966)ars.electronica.art.
- Haraway, Donna. Staying with the Trouble: Making Kin in the Chthulucene. Duke University Press, 2016genealogy-critique.nete-flux.com.
- Haraway, Donna. „A Cyborg Manifesto.“ In Simians, Cyborgs, and Women: The Reinvention of Nature. Routledge, 1991journals.sagepub.com.
- Latour, Bruno. Wir sind nie modern gewesen. Suhrkamp, 1995 (frz. 1991)e-flux.com.
- Latour, Bruno. Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft: Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie. Suhrkamp, 2007simplypsychology.organtonisch.wordpress.com.
- Latour, Bruno. Das Parlament der Dinge: für eine politische Ökologie. Suhrkamp, 2001 (frz. 1999)e-flux.com.
- Luhmann, Niklas. Ökologische Kommunikation. Westdeutscher Verlag, 1986.
- Naess, Arne. “The Shallow and the Deep, Long‐Range Ecology Movement.” Inquiry 16.1 (1973): 95-100en.wikipedia.org.
- Sloterdijk, Peter. Sphären I-III. Suhrkamp, 1998/1999/2004bluelabyrinths.combluelabyrinths.com.
- Simondon, Gilbert. Du mode d’existence des objets techniques. Aubier, 1958journal.media-culture.org.aujournal.media-culture.org.au.
- Simondon, Gilbert. L’individuation à la lumière des notions de forme et d’information. 1958 (Ed. Jérôme Millon, 2005).
- Viveiros de Castro, Eduardo. Cannibal Metaphysics. Univ. of Minnesota Press, 2014.
- Weitere Quellen aus der zitierten Online-Literaturgenealogy-critique.netgenealogy-critique.netjournal.media-culture.org.aujournal.media-culture.org.ausimplypsychology.orgars.electronica.artplato.stanford.edubluelabyrinths.com. Babka | Introduction: Posthumanist Gender Theory—A Very Rough Account | Genealogy+Critique the other. Here, the last remaining 'difference,' that between the human and the non-human, is 'deconstructed' when, according to Barad's agential realism, discourse practices are no longer read as "human-based activities but [as] specific material (re)configurations of the world through which boundaries, properties, and meanings are differentially enacted."7