V. Die Plastische Philosophie
Die plastische Philosophie ist der Kern von Wolfgang Fenners künstlerischem und intellektuellem Schaffen. Sie vereint das Gestalten von Formen mit dem tiefen Verstehen der physikalischen und philosophischen Grundlagen unserer Existenz. In dieser Philosophie wird der Mensch als plastisches Wesen begriffen, das sich in ständiger Interaktion mit der Welt formt und von ihr geformt wird. Der Fokus liegt dabei auf der Schaffung von Bewegung, Anpassung und Transformation durch künstlerische Prozesse.
1. Der Gordische Knoten: Vom Problem zur Lösung
Der Gordische Knoten ist ein altes Symbol für unlösbare Probleme. In Fenners plastischer Philosophie repräsentiert der Gordische Knoten die Verstrickungen und Komplexitäten der modernen Welt, die oft unüberwindbar erscheinen. Doch anstatt den Knoten zu zerschlagen, wie es Alexander der Große tat, sucht Fenner nach einem künstlerischen Weg, den Knoten durch Einfühlung und Verständnis zu lösen.
- Transformation durch Plastizität: Der Knoten wird als eine plastische Form verstanden, die durch Gestaltungsprozesse in eine Lösung überführt werden kann. Hier geht es nicht um Gewalt oder Zerschneiden, sondern um Geduld und Formung.
- Ein neuer Blick auf Probleme: Der Gordische Knoten lehrt, dass viele unserer komplexen globalen Probleme nicht durch schnelle, radikale Maßnahmen gelöst werden können, sondern durch ein langsames, achtsames Arbeiten an der Form. Dies gilt sowohl für persönliche als auch gesellschaftliche Herausforderungen.
2. Bewusstseins-Plastik: Gestaltung der Realität
Die Bewusstseins-Plastik ist ein Schlüsselbegriff in Fenners Philosophie. Sie beschreibt die Idee, dass der Mensch seine Wahrnehmung der Realität formt, wie ein Bildhauer eine Skulptur formt. Unsere Gedanken, Überzeugungen und geistigen Konstrukte sind plastisch, und wir können sie bewusst gestalten, um die Wirklichkeit zu verändern.
- Gestaltung der Wahrnehmung: Fenner sieht die Wirklichkeit nicht als statisch, sondern als formbar. Durch kreative Prozesse kann der Mensch lernen, seine Wahrnehmung der Welt zu erweitern und zu vertiefen.
- Kunst als Werkzeug der Transformation: Kunst wird hier nicht nur als Ausdrucksmittel verstanden, sondern als Mittel zur Transformation des Bewusstseins. In der Bewusstseins-Plastik gestaltet der Mensch aktiv seine inneren und äußeren Welten und erkennt dabei seine Verantwortung für die Konsequenzen seines Handelns.
3. Formen-ABC und die Amöboide Bewegung
Das Formen-ABC ist eine zentrale Methode in Fenners Arbeit. Es ist eine visuelle und haptische Sprache, die durch das Studieren von naturgegebenen Formen entwickelt wurde. Diese Formen spiegeln die dynamischen Bewegungen und Wechselwirkungen der Natur wider, wie etwa die amöboide Bewegung, die das ständige Fließen und die Anpassung des Lebens symbolisiert.
- Amöboide Bewegung: Diese Form der Bewegung, bei der sich Lebewesen durch fließende, sich ständig verändernde Formen vorwärtsbewegen, steht sinnbildlich für die Anpassungsfähigkeit der Natur und des Lebens. Sie zeigt, dass das Leben nicht durch starre Formen, sondern durch plastische Prozesse existiert und überlebt.
- Formen-ABC als Sprache: Das Formen-ABC ist ein Werkzeug, um diese Prinzipien in künstlerischen Prozessen sichtbar zu machen. Es ermöglicht die Darstellung von Synergien, Strömungen und Kreisläufen, die in der Natur vorkommen, und bildet die Grundlage für eine ästhetische Kommunikation.
4. Goldener Schnitt und die Asymmetrien
Der Goldene Schnitt ist ein universelles Prinzip der Harmonie und des Gleichgewichts in der Natur, das seit der Antike in Kunst, Architektur und Wissenschaft eine zentrale Rolle spielt. Für Fenner ist der Goldene Schnitt nicht nur eine mathematische Proportion, sondern ein Weltprinzip, das sich in der plastischen Gestaltung widerspiegelt.
- Goldener Schnitt und plastische Harmonie: In der plastischen Philosophie wird der Goldene Schnitt als Maßstab für ästhetisches Gleichgewicht und natürliche Harmonie verwendet. Diese Proportionen finden sich in vielen Formen der Natur und sind Grundlage für Fenners Gestaltungsprozesse.
- Zwei unterschiedliche Asymmetrien: Fenner unterscheidet zwei Arten von Asymmetrien, die in der Natur vorkommen. Diese unterschiedlichen Asymmetrien – etwa 49 zu 51 Prozent – repräsentieren die kleinen Ungleichgewichte, die Bewegungen in der Natur ermöglichen. Asymmetrie ist für ihn ein Zeichen der lebendigen Dynamik, die ständige Anpassung und Veränderung voraussetzt.
5. Kreislaufprozesse: Natur als Vorbild
Die Natur arbeitet nach den Prinzipien von Kreislaufprozessen und Widerstandspotenzialen. In diesen Prozessen ist alles miteinander verbunden und folgt den Gesetzen des Fließgleichgewichts. Diese Kreisläufe sind für Fenner das ultimative Vorbild für nachhaltige Gestaltung und für das Verständnis der plastischen Realität.
- Kreislauf als Grundlage des Lebens: In der Natur gibt es keinen Anfang und kein Ende – alles ist Teil eines ewigen Kreislaufs. Diese Erkenntnis ist zentral für Fenners künstlerisches und philosophisches Werk. Der Mensch muss lernen, diese Kreislaufprozesse zu respektieren und sich ihnen anzupassen, um im Einklang mit der Natur zu leben.
- Natur als Lehrmeister: Die Kreisläufe der Natur lehren uns, dass jede Handlung Konsequenzen hat und dass alles Teil eines größeren Ganzen ist. Durch das Beobachten und Nachahmen dieser Prozesse in der Kunst kann der Mensch ein tieferes Verständnis für seine eigene Verantwortung und Rolle in der Welt entwickeln.
Ziel des Kapitels
Die plastische Philosophie Fenners vermittelt die Essenz des Lebens als dynamischen, formbaren Prozess. Der Mensch ist aufgerufen, seine Umwelt nicht nur zu beobachten, sondern aktiv zu gestalten und dabei die Natur als Lehrmeister zu akzeptieren. Durch das Erlernen des Formen-ABCs, das Verstehen von Asymmetrien und das Respektieren von Kreislaufprozessen kann der Mensch zu einem neuen Bewusstsein und zu einer nachhaltigen Lebensweise gelangen.