Wissenschaftlich formulierte Expertise zur Essenz des plastisch-ethischen Denkmodells. 10.4.2025

Aus Globale-Schwarm-Intelligenz

Der Text ist als grundlagentheoretisches Papier angelegt, anschlussfähig an Philosophie, Kognitionswissenschaft, Ethik, Sprachtheorie und Kulturforschung.


Wissenschaftliche Expertise

Plastische Ontologie und Ethik des Maßverhaltens

Eine interdisziplinäre Grundlagenskizze

1. Ausgangspunkt und Problemstellung

Die gegenwärtigen planetarischen Krisen – ökologisch, sozial, kognitiv – sind nicht allein technische oder ökonomische Herausforderungen. Sie wurzeln in einem erkenntnistheoretischen und kulturellen Konstruktionsfehler, der vor etwa 2500 Jahren im Zuge des platonisch geprägten Substanzdenkens etabliert wurde. Die Trennung von Form und Stoff, Subjekt und Objekt, Innen und Außen, Geist und Materie führte zu einem Weltbild, das auf Symmetrie, Idealität, Kontrolle und Abstraktion basiert.

Diese dualistische Ordnung hat sich tief in kulturelle Institutionen, Sprache, Wissenschaft und ökonomische Modelle eingeschrieben. Sie erzeugt Strukturen, die zunehmend nicht mehr kompatibel sind mit den plastisch-dynamischen Anforderungen lebendiger Systeme – insbesondere im Hinblick auf Anpassungsfähigkeit, Rückkopplung, Maßregulation und Spürintelligenz.

2. Hypothese

Der zentrale Befund lautet:

Leben, Ethik, Wahrnehmung und Sprache sind keine Systeme mit festen Grenzen, sondern plastische Spannungsverhältnisse. Sie entstehen durch tätige Rückkopplung in asymmetrischen Feldern – nicht durch Setzung, sondern durch Verhältnisbildung.

Ethik, Sprache und Bewusstsein müssen daher nicht als Systeme, sondern als formbildende Prozesse verstanden werden: temporär tragfähige Zustände im Spannungsfeld zwischen Bewegung und Widerstand, zwischen Maß und Rückmeldung, zwischen Handlung und Welt.

3. Grundbegriffe des plastischen Weltmodells

Begriff Funktion im Modell
Maß Kein normatives Ideal, sondern dynamisches Verhältnismaß (z. B. 51:49) im Spannungsfeld.
Plastizität Fähigkeit eines Systems, Spannungen wahrzunehmen, zu regulieren und tragfähige Formen zu entwickeln.
Eingegossensein Ontologische Grundfigur: Alles, was ist, ist immer schon in etwas eingelassen – materiell, sozial, sprachlich.
Rückkopplung Prinzip jeder lebendigen Anpassung: Handlung → Wirkung → Rückmeldung → Form.
Ethik Keine Regel, sondern tätige Maßbildung im Vollzug: situativ, leiblich, spürbar, formgebend.
Sprache Kein Repräsentationssystem, sondern plastisches Organ: Begriffe als Gussformen, die Weltkontakt ermöglichen oder blockieren.

4. Ethik als Maßbildung

Plastisch verstandene Ethik basiert nicht auf Geboten, sondern auf tätiger Spürfähigkeit in asymmetrischen Spannungsfeldern. Sie lässt sich in vier miteinander verschränkten Phasen beschreiben:

  1. Spannung wahrnehmen – Differenz spüren, bevor sie interpretierbar ist.
  2. Handlung setzen – minimale Formgabe als Resonanzversuch.
  3. Rückmeldung verarbeiten – Wirkung wahrnehmen, ohne zu rechtfertigen.
  4. Form entwickeln – Verantwortung nicht als Schuld, sondern als Verbundenheit mit Wirkung.

Dies ist keine Methode, sondern ein Bewegungsmuster für leiblich-sprachlich eingebundene Ethik: kein moralisches System, sondern ein plastisches Vollzugsverhältnis.

5. Sprachliche Tragfähigkeit

Sprache ist in diesem Modell kein neutrales Medium, sondern aktiver Teil plastischer Formbildung.

Begriffe fungieren als Gussformen, in denen Wahrnehmung, Beziehung und Weltkontakt strukturiert – oder blockiert – werden.

Ein Begriff ist tragfähig, wenn er:

  • differenzsensibel ist (statt zu glätten),
  • rückmeldbar bleibt (statt dogmatisch zu fixieren),
  • plastisch anschlussfähig ist (statt identitär zu schließen),
  • Verantwortung trägt (statt nur zu bezeichnen).

Begriffe wie aretḗ, technē, sōphrosýnē oder logos zeigen in ihrer antiken Wurzel plastische Bedeutungsoffenheit: Sie sind Maßbegriffe, keine Festlegungen.

6. Neurokognitive Relevanz

Das Gehirn reagiert nicht neutral auf Welt, sondern orientiert sich an zielgerichteten Kurzschlussmustern, insbesondere unter Stress (Rückgriff aufs Stammhirn, Belohnungssysteme, Reiz-Reaktions-Schemata).

Die moderne Einseitigkeit – etwa durch Marktlogik (Angebot/Nachfrage) – führt zu verkürzter Spürintelligenz: Begriffe werden identitär, ethische Orientierung externalisiert (Normen statt Rückwirkung), Verantwortung entkoppelt von Handlung.

Ein Training der plastischen Rückkopplungsfähigkeit – auch im sprachlichen, sozialen, körperlichen und ethischen Feld – ist damit eine neurobiologisch begründete Notwendigkeit, keine moralische Option.

7. Schlussfolgerung und Perspektive

Die hier vorgeschlagene plastisch-ethische Ontologie ist kein Modell der Weltbeschreibung, sondern ein Vorschlag zur Wiederanbindung des Menschen an Maßverhältnisse, an Rückmeldbarkeit, an Mitformung.

Sie bietet:

  • eine erkenntnistheoretisch fundierte Kritik am Symmetrieideal,
  • eine ethische Alternative zum Regel- oder Prinzipienethos,
  • eine sprachtheoretische Neubewertung von Begriffen als Tätigkeiten,
  • und eine Anschlussfähigkeit an systemisches, biologisches und kognitionswissenschaftliches Denken – ohne deren mechanistische Verkürzungen.

Essenz:

Ethik ist die Fähigkeit, in einem plastischen Spannungsverhältnis maßbildend zu handeln, ohne sich auf feste Regeln zu stützen.

Sprache ist dabei nicht Werkzeug, sondern Mitgestalterin von Weltkontakt.

Und das Denken selbst muss plastisch rückgebunden werden – nicht an Ideale, sondern an die Tragfähigkeit des Geformten.


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Hier siehst du eine strukturierte grafische Übersicht über die zentralen Elemente der plastischen Ontologie und ihrer ethischen Implikationen. Sie zeigt, wie Spannung, Rückkopplung, Sprache und Ethik als ineinandergreifende Bewegungsfelder zusammenwirken – mit dem Ziel, ein tragfähiges Verhältnis zwischen Mensch, Welt und Handlung herzustellen.