Wissenschaftliche These
Titel: „Der Mensch als konstruiertes Subjekt: Eigentum, Ich-Bewusstsein und die Dekonstruktion anthropozentrischer Selbstzuschreibungen“
Hauptthese:
Die verbreitete Annahme, dass der Mensch Eigentümer seines Körpers, Urheber seines Bewusstseins und souveränes Subjekt seines Handelns sei, beruht auf einer kulturell bedingten Illusion, die weder biologisch noch erkenntnistheoretisch haltbar ist. Diese Illusion trägt wesentlich zur ideologischen Selbstaufwertung des Menschen gegenüber anderen Lebensformen bei und ist mitverantwortlich für ökologische, ethische und existenzielle Krisen der Gegenwart.
Teilthesen und Argumentationslinien
1. Die Illusion des Eigentums:
Die Zuschreibung von Eigentum an den eigenen Körper, Atem oder Geist ist erkenntnistheoretisch nicht begründbar. Der Mensch hat weder die Prozesse, die ihn am Leben erhalten, hervorgebracht, noch hat er vollständige Kontrolle über sie. Juristisch unterscheidet man zwischen Besitz (Nutzung) und Eigentum (Verfügung mit Ursprung). Übertragen auf das Subjekt bedeutet dies: Der Mensch ist Nutzer, aber nicht Urheber seines Selbst.
2. Das „Ich“ als nachträgliche Konstruktion:
Neurowissenschaftliche und phänomenologische Forschungen legen nahe, dass das Ich-Bewusstsein kein stabiler Ursprung des Denkens ist, sondern ein emergentes Phänomen, das aus Prozessen hervorgeht, die weitgehend unbewusst, vorbewusst und körperlich grundiert sind. Das Ich ist ein narratives Zentrum, kein biologischer Dirigent.
3. Der Mensch als biomechanisch-symbolischer Verbund:
Der Mensch ist kein einheitliches, abgeschlossenes Wesen, sondern ein dynamisches System aus biologischen, neuronalen, psychischen und sozialen Teilprozessen. Die Vorstellung einer homogenen, individuellen Identität ist eine sprachlich und kulturell erzeugte Fiktion. Der Begriff „Mensch“ suggeriert Ganzheit, wo tatsächlich Fragmentierung und Verbundenheit vorherrschen.
4. Anthropozentrismus als Herrschaftsstruktur:
Die Konstruktion des Menschen als „höheres“ Lebewesen dient historisch der Legitimation von Herrschaft über Natur, Tiere und andere Menschen. Diese ideologische Überhöhung steht in engem Zusammenhang mit der Ausbeutung von Ressourcen und der Entstehung planetarer Krisen (Klimawandel, Artensterben, ökologische Disbalancen).
5. Freiheit als Einsicht in Abhängigkeit:
Die vielzitierte menschliche Freiheit basiert häufig auf einem Missverständnis von Autonomie. Wenn Freiheit als Verfügung über das Selbst oder die Welt gedacht wird, verkennt sie ihre Bedingtheit. Eine reifere Freiheit läge in der Einsicht, dass das Subjekt nicht Eigentümer, sondern Teil eines größeren Zusammenhangs ist – eine Freiheit, die auf relationaler statt instrumenteller Grundlage beruht.
Forschungsimplikationen:
- Dekonstruktion anthropozentrischer Begriffe in Anthropologie, Rechtswissenschaft, Ethik und Umweltphilosophie.
- Revision des Freiheitsbegriffs in Philosophie des Geistes und Handlungstheorie.
- Interdisziplinäre Integration biologischer, kognitiver und ökologischer Perspektiven auf „Selbst“ und „Menschsein“.
- Posthumanistische und tiefenökologische Neudefinition von Subjektivität und Verantwortung.
Zusammenfassende Fragestellung:
Was bleibt vom „Menschen“, wenn wir die juristischen, kulturellen und psychologischen Konstruktionen von Eigentum, Identität und Sonderstellung systematisch hinterfragen? Und welche Formen des Zusammenlebens mit anderen Lebensformen werden denkbar, wenn der Mensch sich nicht mehr als Eigentümer, sondern als Teil eines geteilten Lebensraumes versteht?