Berührung als Weltbeziehung: Plastische Handlung jenseits der Repräsentation.
Repräsentation und Wirklichkeit in der Kunst
Kunst und Philosophie haben seit jeher nach dem Verhältnis von Schein und Sein gefragt. Klassische Modelle – von Platons Höhlengleichnis über Magrittes berühmte Pfeife bis zu Brechts Theaterkonzept – stellen häufig Darstellung und Symbolik über körperliche Handlung und Beziehung. In diesen Denkfiguren gilt das Bildhafte oder Symbolische als Träger von Wahrheit, während die physische Wirklichkeit als bloßer Abglanz oder “Als-ob”-Inszenierung behandelt wird.
Meine plastische Kunstpraxis entwickelt demgegenüber eine eigenständige Theorie, in der Denkobjekte und Berührung als genuine Weltbeziehung verstanden werden. Hier geht es nicht um Abbilder oder Zeichen, sondern um tatkräftige Erkenntnis: Wissen durch leibhaftige Handlung in der realen Welt, mit echten Konsequenzen und Rückwirkungen.
Im Folgenden wird dargelegt, wie sich diese Praxis von den genannten Modellen abgrenzt und eine körperlich-materiale Erkenntnisform mit ethischer Tragweite formuliert.
Jenseits von Schatten und Zeichen: Symbole als Trugbild
In Platons Höhlengleichnis sehen Gefangene nur Schatten an der Wand und halten sie für die Wirklichkeitde.wikipedia.orgde.wikipedia.org. Die eigentlichen Dinge bleiben ihnen verborgen; sie leben in einer “Kunst- und Phantasiewelt von Abbildern zweiter Ordnung”, wie Platon es ausdrücktde.wikipedia.org.
Dieses Gleichnis stellt sinnliche Wahrnehmung als Illusion dar – die sichtbaren Formen sind nur Schatten der wahren Ideen.
Ähnlich betont René Magritte in seinem Gemälde La trahison des images („Der Verrat der Bilder“) die Kluft zwischen Bild und Wirklichkeit. Unter dem gemalten Bild einer Pfeife schrieb er bekanntlich „Ceci n’est pas une pipe“ („Dies ist keine Pfeife“). Magritte erläuterte dies so: „Und doch, könnten Sie meine Pfeife stopfen? Nein, es ist nur eine Darstellung, nicht wahr? Hätte ich also auf mein Bild geschrieben ‚Das ist eine Pfeife‘, hätte ich gelogen!“deutsch.wikibrief.org.
Damit führt er vor Augen, dass ein Bild eben nicht das Ding selbst ist – das Gemalte bleibt ein Zeichen, dem die physische Funktion fehlt (man kann die gemalte Pfeife nicht mit Tabak stopfen). Platon und Magritte – so unterschiedlich ihre Kontexte – eint die Warnung vor dem Trugbild: Sie stellen heraus, dass Repräsentationen (seien es Schattenbilder oder gemalte Objekte) nur Symbole sind, die leicht mit der Realität verwechselt werden.
Die Kunstpraxis des Nutzers positioniert sich jenseits dieser Schatten und Zeichen. Wo Platon in den sichtbaren Abbildern nur Verzerrung und Entfernung von der Wahrheit sahde.wikipedia.org, sucht der Nutzer gerade in der unmittelbaren physischen Begegnung Erkenntnis. Und wo Magritte augenzwinkernd darauf hinweist, dass ein Bild lügt, weil es uns etwas als „seiend“ verkauft, was es materiell nicht istdeutsch.wikibrief.org, verzichtet der Nutzer bewusst auf solche zweideutigen Zeichen. Seine „Denkobjekte“ sind keine Symbole, die etwas anderes meinen, sondern Dinge, die in ihrer konkreten Materialität gedacht und erfahren werden wollen. Statt Schatten an der Wand zu deuten, verlässt diese Kunst gewissermaßen die Höhle und tritt ins Licht der direkten Auseinandersetzung mit echten Materialien, Orten und Widerständen. Die Wahrheit liegt hier nicht jenseits des Gegenständlichen, sondern im Gegenstand selbst, so wie er durch Berührung und Handlung erschlossen wird.
Handlung statt „Als-ob“: Theater und reale Konsequenz
In der Theaterkunst wird das Prinzip des „Als-ob“ kultiviert – Schauspieler tun so, als ob sie andere Personen wären, Verletzungen sind gespielt, Handlungen ohne reale Folgen. Bertolt Brecht durchbrach zwar die vollkommene Illusion, indem er die Künstlichkeit des Theaters betonte, doch auch sein episches Theater blieb eine Darstellung ohne echte Rückwirkung auf die Welt. Brecht wollte, dass das Publikum sich der Illusion des Theaters bewusst wird und das Gezeigte als Parabel begreiftde.wikipedia.org. Er verfremdete das Spiel absichtlich, „um es als Schauspiel gegenüber dem wirklichen Leben erkennbar zu machen“de.wikipedia.org. Die Schauspieler sollten von außen an die Rolle herangehen und nur bewusst so handeln, „wie es die Figur getan hätte“de.wikipedia.org. Damit steht Brechts Ansatz im Gegensatz zur traditionellen Methode Stanislawskis, bei der der Schauspieler sich völlig in die Rolle hineinversetzt und die Bühne eine perfekte Illusionswelt erzeugtde.wikipedia.org. Trotz Brechts kritischem Abstand bleibt Theater jedoch dem „Als-ob“ verhaftet: Es sind geprobte Handlungen in einem Schonraum. Eine Figur kann auf der Bühne sterben, ohne dass ein realer Mensch stirbt; ein Schauspieler kann Gewalt darstellen, ohne dass jemand tatsächlich zu Schaden kommt.
Die plastisch-physische Kunsthandlung des Nutzers kehrt dieses Prinzip um. Hier handelt niemand „als ob“ – hier wird wirklich gehandelt. Aktion und Material begegnen sich in der realen Verletzungswelt, wo Scheitern, Wunden oder Zerstörung möglich sind und Folgen haben. Wenn in dieser Kunst z.B. mit scharfem Werkzeug ins Material geschnitten oder am eigenen Körper eine Grenze ausgelotet wird, dann geschieht es tatsächlich – mit allen Konsequenzen wie physischen Spuren, Verbrauch von Material, Risiko für den Handelnden oder die Umgebung. Eine solche Kunst ist nicht mehr bloße Aufführung, sondern ähnelt eher einem Experiment oder Eingriff in situ: Sie erzeugt Rückkopplungen mit der Realität. Jede Handlung verändert etwas am realen Zustand – im Material, im Raum oder im Wahrnehmenden – was wiederum auf den Künstler und das Werk zurückwirkt. Dieser Regelkreis aus Aktion und Reaktion ist echt und unkalkulierbar, kein sicher kontrolliertes Spiel. Während Brechts Schauspieler dem Publikum letztlich eine Geschichte erzählt, wirkt die Handlung des Nutzers unmittelbar in die Welt hinein. Sie erzeugt Tatsachen statt Fiktionen. Damit verlässt die Kunst ihre traditionelle Bühne und positioniert sich im Feld des Lebens, wo jede Tat auch eine Verantwortung nach sich zieht.
Die Theorie der Denkobjekte: Berührung als Weltbeziehung
Im Zentrum der Praxis des Nutzers steht die Idee des Denkobjekts. Darunter kann man materielle Gebilde oder Situationen verstehen, die nicht bloß einen Gedanken darstellen, sondern einen Gedanken verkörpern und hervorbringen. Das Denkobjekt ist Werkzeug und Erkenntnisgegenstand zugleich: Man „begreift“ es wortwörtlich durch Berührung, und im gleichen Akt wird ein geistiger Prozess angestoßen. Diese Auffassung knüpft an das an, was die Phänomenologie als Leiblichkeit des Erkennens beschreibt. Der Mensch hat einen Körper und ist sein Leib, wie es in der Phänomenologie heißt; als lebendiger Leib ist er “Angelpunkt der Perspektiven, mit denen er die reale Welt und alle Gegenstände wahrnimmt“kubi-online.de. Ohne leibliche, sinnliche Perspektive gäbe es keine Gegenstandserkenntniskubi-online.de. Nur durch Berühren, Sehen, Hören kann Welt überhaupt in unser Bewusstsein treten. Maurice Merleau-Ponty sprach vom Leib als “Mittel des Zur-Welt-Seins”kubi-online.de – der Körper ist das Medium, durch das wir in Beziehung zur Welt stehen. Wissen ist hier nicht abstrakte Kopfsache, sondern entsteht in der Verflechtung von Welt und Leib.
Genau hier setzen die Denkobjekte an: Indem der Nutzer Material formt, bewegt, bearbeitet – also berührt –, entstehen Erkenntnisse, die anders nicht zugänglich wären. Berührung wird zur Weltbeziehung. Man könnte sagen, diese Kunst ist eine Form des „Denkens durch Machen“. Das unterscheidet sie fundamental vom symbolischen Denken, wo ein Zeichen (etwa ein Wort oder Bild) für einen Begriff steht. Das Denkobjekt dagegen ist der Gedanke in konkreter Gestalt – es erlaubt einen Dialog zwischen Händen, Werkzeug, Material und Vorstellung. Dabei liefert die Welt selbst Feedback: Das Material hat eigene Eigenschaften und reagiert auf die Eingriffe. In dieser Rückkopplung zwischen Handlung und Widerstand formt sich die Idee des Künstlers ständig neu. Ein Beispiel aus der Theologie kann die Bedeutung der Berührung verdeutlichen: Im Johannesevangelium will der Apostel Thomas die Wundmale Jesu berühren, um an die Auferstehung zu glauben. Er vertraut seinen Augen nicht und fordert handgreifliche Gewissheitde.wikipedia.org. “Den Auferstandenen zu sehen könnte auch eine Vision sein”, daher will Thomas sich durch körperliche Berührung überzeugen, dass es wirklich der gekreuzigte Jesus istde.wikipedia.org. Diese Episode – oft als „der ungläubige Thomas“ bezeichnet – zeigt, dass tasten, fühlen, körperlich prüfen eine zutiefst menschliche Methode der Wahrheitsfindung ist. In der Kunst des Nutzers ist es ähnlich: Anstatt sich auf Bilder oder Erzählungen zu verlassen, wird durch direkten körperlichen Kontakt mit der Realität geprüft, geforscht, gezweifelt und schließlich erkannt. Die Hand des Künstlers erkundet die Welt wie Thomas die Wunde – skeptisch, tastend, auf Echtheit sinnend – und gelangt so zu einer Form von Gewissheit oder Erkenntnis, die keine abstrakte Symbolik leisten kann.
Ein Denkobjekt entsteht also im Zwischenraum von Hand und Material. Es ist nicht einfach eine Skulptur, die etwas darstellt, sondern eher ein kondensierter Prozess: Der geformte Stein, das gebogene Metall, die angeordnete Installation „wissen“ im gewissen Sinne etwas – nämlich das, was der Künstler im Ringen mit dem Material herausgefunden hat. Solche Objekte laden den Betrachter ebenfalls ein, durch eigene sinnliche Erfahrung Bedeutung zu entdecken. Man muss sie vielleicht umlaufen, anfassen, benutzen oder sich ihrer physischen Präsenz aussetzen, um zu verstehen, was sie „sagen“. In diesem Sinne sind Denkobjekte Dialogpartner: Sie sprechen nicht in Symbolen, sondern in Eigenschaften – Gewicht, Textur, Spannung, Temperatur, Klang. Hier kann man von einer Eigenschaftsphysik der Kunst sprechen: Erkenntnis ergibt sich aus dem Zusammenspiel der physikalischen Eigenschaften. Zum Beispiel lehrt ein schwankendes Objekt etwas über Gleichgewicht, ein rauer Stein über Zeit und Verwitterung, ein elastisches Material über Spannung und Loslassen. Diese Lektionen sind im Medium selbst verankert, nicht erst durch Interpretation übergestülpt.
Rückkopplung und Fluss: Dynamik der plastischen Aktion
Ein zentraler Aspekt der Kunstpraxis des Nutzers ist ihr prozessual-dynamischer Charakter. Jede Handlung löst eine Rückkopplung aus, die den weiteren Verlauf beeinflusst. In der Systemtheorie spricht man von Regelkreisen: Eine Aktion verändert eine Variable, und diese Veränderung wirkt auf den Handelnden zurückspektrum.de. So erklärt es der Wissenschaftler: Wenn ein Stellglied in einem Regelkreis eine Größe verändert, „wirkt [diese] wieder auf den Regler und damit das Stellglied zurück“spektrum.de. Übertragen auf die Kunst heißt das: Der Künstler formt z.B. Tonerde; die neue Form oder ein unvorhergesehener Riss gibt dem Künstler eine Rückmeldung, worauf er reagiert – etwa indem er den Druck anpasst oder die Idee ändert. Kunstschaffen wird zum Feedback-System. Diese Regulationsdynamik verhindert, dass das Werk reine Umsetzung eines Plans ist; es entsteht vielmehr in einem Fluss von Aktion und Reaktion.
Interessanterweise braucht es für Flussbewegungen immer eine Asymmetrie oder Differenz. Ein vollkommenes Gleichgewicht (50:50) ist statisch – nichts bewegt sich. Erst ein kleiner Überschuss auf einer Seite – man denke an 51:49 – bringt etwas ins Rollen. In der Physik gilt: Ströme fließen entlang von Gradienten, von einem höheren Potential zu einem niedrigereniu.pressbooks.pub. Kein Gefälle, kein Fluss. Übertragen auf das künstlerische Arbeiten bedeutet dies: Es muss eine Spannung oder Ungleichgewicht geben, damit Entwicklung passiert. Das kann ein Ungleichgewicht zwischen Vorstellung und Realität sein, zwischen Wollen und Können, zwischen Stabilität und Instabilität des Materials. Eine minimale Asymmetrie – sei es ein winziger Zufall, ein leichtes Übermaß an Kraft, eine unsymmetrische Komposition (etwa 51% zu 49%) – genügt, um einen Prozess in Gang zu setzen. Diese Kunst sucht nicht die starre Symmetrie, sondern kultiviert bewusst ein fragiles Gleichgewicht, das in Bewegung bleibt. Ein Werk, das scheinbar kippt aber doch hält (51:49), kommuniziert Dynamik: Es fordert ständige Regulation vom Betrachter (man möchte es vielleicht unwillkürlich stützen) und verkörpert Labilität als ästhetische Qualität.
Die Idee des Flows findet sich auch in der Erfahrung des Künstlers während der Arbeit. Häufig wird ein Zustand des Aufgehens im Tun beschrieben, wenn Rückkopplung und Anpassung in Echtzeit geschehen – ein flüssiger Dialog mit dem Material. Dieses Strömen ist keine Einbahnstraße; es ähnelt eher einem Kreislauf, in dem Energie und Informationen hin- und herfließen. Man kann hier an ökologische Kreisläufe denken: In Ökosystemen gibt es ebenfalls positive und negative Rückkopplungen, die zusammen ein dynamisches Gleichgewicht haltenspektrum.despektrum.de. Ein kleiner Impuls kann verstärkt oder abgeschwächt werden, bis ein neuer Stabilitätszustand erreicht ist. Die Kunstwerke des Nutzers agieren oft innerhalb solch ökologischer oder physikalischer Fließgleichgewichte – sei es, dass sie Wind und Wetter ausgesetzt sind und sich verändern, oder dass sie mit Kräften wie Schwerkraft und Elastizität spielen. Der Begriff Strömung (im Sinne von Flow) betont, dass diese Kunst kein statisches Objekt produziert, sondern ein Ereignis in der Zeit darstellt – ein Ereignis, das aus kontinuierlicher Wechselwirkung besteht.
Nicht zuletzt steht diese Dynamik auch für eine innere Strömung des Bedeutungsflusses: Bedeutungen sind hier nicht festgelegt, sondern entstehen im Vollzug. So wie Wasser immer wieder neue Wirbel bildet, generiert der Prozess immer wieder neue Sinnschichten, je nachdem, wie man ihn beeinflusst oder betrachtet. Rückkopplung, Fluss, Asymmetrie – all das sind Prinzipien, die zeigen: Die plastisch-physische Kunsthandlung ist kein geschlossenes System, sondern offen, lebendig und in ständiger Wandlung begriffen.
Ökologie der Kunst: Material, Ort und Verantwortung
Die klassische Ästhetik sprach oft von der Autonomie der Kunst – das Kunstwerk als für sich bestehende Welt, losgelöst von Zweck und Kontext. Dem widerspricht die hier entwickelte Theorie entschieden. Kunst ist nicht autonom, sondern immer in Relation zu einem Gegenüber. Diese Beziehung kann vielfältig sein: das Material selbst als dialogischer Partner, der Ort als Mitwirkender, der Betrachter als aktives Gegenüber und schließlich die gesellschaftliche oder ethische Instanz, die antwortet. Kunst wird zu einer ökologischen Praxis, insofern sie alle diese Umgebungsfaktoren einbezieht und mit ihnen in Wechselwirkung tritt – ähnlich wie ein Lebewesen, das nur in Verbindung mit seiner Umwelt existieren kann.
Schon das Material bringt ein Gegenüber mit sich. Jeder Werkstoff besitzt charakteristische Eigenschaften – Holz splittert, Metall verbiegt sich, Elektronik reagiert empfindlich auf Feuchtigkeit usw. Der Künstler kann das Material nicht beliebig formen, ohne dessen “Widerspruch” zu spüren. In der Kunst des Nutzers wird dieser Eigensinn des Materials begrüßt. Es entsteht ein Verhältnis, das an Martin Bubers dialogisches Prinzip erinnert: nicht Ich-Es, sondern Ich-Dude.wikipedia.org. Buber betont, der Mensch bildet sein wahres Ich nur in Beziehung zu einem Du, in einer lebendigen Gegenwärtigkeitde.wikipedia.org. Übertragen heißt das: Behandelt der Künstler das Material nur als objektives Es, das er konsumiert oder benutzt, bleibt die Begegnung oberflächlich. Tritt er ihm aber gegenüber wie einem Du, mit Offenheit und Respekt für dessen Eigenart, entsteht eine echte Begegnung. Aus dieser Haltung erwächst Verantwortung – denn einem Du gegenüber kann man nicht rücksichtslos oder beliebig sein. Buber formulierte sogar: „Alles wirkliche Leben ist Begegnung.“friedrich-verlag.de. In der Kunstpraxis bedeutet dies: Ein Werk entfaltet Leben und Bedeutung erst in der Begegnung mit einem Gegenüber – sei es der Künstler beim Schaffensakt oder der Betrachter im Moment der Anschauung. Ohne Gegenüber kein Dialog, ohne Dialog kein Sinn.
Auch der Ort ist ein wesentliches Gegenüber. Ein und dasselbe Objekt wirkt in unterschiedlicher Umgebung anders und ruft andere Reaktionen hervor. Der Nutzer bezieht deshalb die spezifische Örtlichkeit in sein Schaffen ein – sei es die Landschaft, in der eine Intervention stattfindet, der soziale Raum, in dem eine Aktion geschieht, oder der architektonische Kontext, in dem ein Objekt steht. Der Ort reagiert: Er bietet Resonanz oder Widerstand, er prägt die Atmosphäre, er zieht bestimmtes Publikum an. Ökologie in diesem Sinne heißt, das Kunstereignis als Teil eines größeren Gefüges zu sehen – so wie in der Gaia-Theorie die gesamte Erde als vernetztes System von Rückkopplungen betrachtet wirdspektrum.de. Die Konsequenz ist, dass der Künstler seine Arbeit nicht mehr als isoliertes Schaffen betrachten kann, sondern als Eingriff in einen Beziehungszusammenhang. Daraus folgt unmittelbar eine ethische Dimension: Wer in ein Gefüge eingreift, übernimmt Verantwortung für die Folgen.
Die Reaktionen des Publikums oder der Umwelt sind ebenfalls Teil dieser Ökologie. Eine Kunst, die wirkliche Handlungen vollzieht, kann Resonanz auslösen – positive wie negative. Es kann zur Konfrontation kommen (etwa wenn ein Werk provoziert oder irritiert), es kann Zusammenarbeit entstehen (z.B. wenn Betrachter eingeladen werden mitzutun), oder es kann Stille eintreten (wenn ein Werk in der Einsamkeit der Natur vielleicht nur von Tieren „wahrgenommen“ wird). All diese Reaktionen beeinflussen das Kunstgeschehen zurück. Der Künstler muss sie antizipieren, darauf antworten oder mit den Konsequenzen leben. Ein plastisches Projekt, das etwa einen Baum modifiziert, könnte ökologisches Gleichgewicht stören; ein Performance-Objekt im öffentlichen Raum könnte Passanten gefährden oder bereichern. Daher ist Verantwortung kein abstraktes Prinzip, sondern konkret in die Arbeit eingebaut. Es geht um Antwort geben – das steckt schon im Wort Verantwortung. Die Kunst antwortet auf die Gegebenheiten von Material und Ort, und sie muss sich den Antworten der Welt stellen.
Diese Haltung unterscheidet sich vom traditionellen Kunstverständnis, in dem das vollendete Werk im Museum unabhängig von seinem Schöpfer und Kontext existiert. Hier dagegen bleibt die Kunst mit ihrem Urheber und ihrem Umfeld verkoppelt. Sie benötigt immer ein Gegenüber für ihre Vollendung: Material, Ort, Betrachter und gesellschaftliche Reaktion werden zum integralen Bestandteil des Werks. So wird Kunstpraxis zur Weltpraxis, eingebettet in ein Netz von Beziehungen wie ein Lebewesen in ein Ökosystem.
Gestalt, Funktion, Maske vs. Subjekt: Paradigmenwechsel des Gegenständlichen
Abschließend lässt sich denkerisch fassen, was diese Kunsttheorie von herkömmlichen Kategorien trennt. In der klassischen Anschauung konnte man ein Kunstwerk (oder generell ein Ding) nach Aspekten wie Gestalt, Funktion und Repräsentation betrachten. Die Gestalt meint die Form oder das Erscheinungsbild – das, was wir sehen. Die Funktion fragt nach dem Zweck oder der Nutzung – was kann man damit tun? Die Maske schließlich steht hier für die Rolle als Zeichen oder Symbol – wofür steht es, welches Konzept „trägt“ es? Im modellhaften Theater zum Beispiel erscheint ein Schauspieler physisch in einer bestimmten Gestalt, erfüllt die Funktion, eine Geschichte zu tragen, und trägt gewissermaßen eine Maske, nämlich die Figur, die er darstellt. Doch hinter all dem verbirgt sich der wirkliche Mensch, das Subjekt des Schauspielers, der diese Rolle nur annimmt.
In der Kunstpraxis des Nutzers verschieben sich diese Kategorien zugunsten des Subjekthaften und Bezüglichen. Die geschaffenen Objekte sind nicht primär dazu da, schön zu erscheinen (Gestalt), nicht, um einem praktischen Nutzen zu dienen (Funktion), und nicht, um etwas anderes zu symbolisieren (Maske) – vielmehr sollen sie als Gegenüber ernstgenommen werden, als Quasi-Subjekte in einer Wechselbeziehung. Hier lohnt ein Blick auf den Begriff Person: Er leitet sich vom Etruskischen „phersu“ (Maske) abseele-und-gesundheit.de. Die Person ist im Wortsinn eine Maske, eine objektive Erscheinung, durch die der Mensch der Welt begegnet, die das darunterliegende Subjekt aber verbirgtseele-und-gesundheit.de. Übertragen auf die Kunst könnte man sagen: Ein Kunstwerk wird traditionell oft als Personifikation eines Gedankens gesehen – es trägt eine „Maske“ (z.B. steht ein weißer Vogel als Maske für den Frieden). Doch das eigentliche Subjekt – die Wirklichkeit dahinter – bleibt verborgen.
Der Nutzer kehrt diesen Ansatz um. Er sucht das Subjekt im Objekt. Seine Werke sollen nicht Masken sein, sondern sie selbst – ehrlich, unvermittelt, in ihren realen Eigenschaften erfahrbar. Damit wird zwar nicht behauptet, ein Stein oder ein Stück Holz sei im menschlichen Sinne ein bewusstes Subjekt; aber der Umgang damit ist so, als würde man einem eigenständigen Wesen begegnen: mit Offenheit für das, was es „will“ oder wie es ist. Gestalt wird dabei nicht ignoriert, aber sie ergibt sich aus der Beziehung, nicht aus vorgefertigter Idee von Schönheit. Funktion spielt manchmal eine Rolle – etwa wenn Objekte als Werkzeuge eingesetzt werden –, doch diese Funktion wird reflektiert und meist zweckentfremdet, um Erkenntnis zu gewinnen (ein Werkzeug wird etwa nicht nur benutzt, sondern hinterfragt, was es mit uns macht). Vor allem jedoch wird die Maske der Repräsentation abgeworfen: Die Dinge müssen nicht mehr „so tun als ob“ sie etwas wären – sie sind. Ein roter Abdruck an der Wand muss nicht Blut symbolisieren; er kann einfach als Spur einer tatsächlichen verletzenden Handlung gelesen werden, die ihr eigenes Gewicht hat. Ein Akteur muss nicht die Maske des Helden tragen; er kann als er selbst handeln und dabei heroisches oder verfehltes Tun real erleben.
In dieser Perspektive verschmelzen Subjekt und Objekt zu einem Beziehungsgefüge. Die Frage ist nicht mehr: Was bedeutet dieses Objekt als Zeichen? Sondern: Wen oder was berührt es – und wie reagiert es darauf? Der Status des Kunstwerks verändert sich vom autonomen Gegenstand zum Knotenpunkt von Beziehungen. Es hat einerseits Subjektcharakter, weil es aktiv etwas bewirkt und antwortet (so wie ein Werkzeug den Nutzer formt, während er es formtdie-tagespost.de, wird auch das Kunstobjekt zum Mit-Akteur). Andererseits bleibt es Gegenstand, der uns gegenübertritt und an dem wir uns reiben, wodurch wir wiederum zu Subjekten werden, die im Gegenüber sich selbst erkennen. Martin Buber formulierte: „Der Mensch wird am Du zum Ich.“friedrich-verlag.de – Das heißt, erst in der Begegnung mit einem Gegenüber entfaltet sich unser eigenes Subjektsein. Übertragen auf diese Kunst heißt das: Die Welt wird am Objekt zum Du. Indem der Künstler den Dingen als Du begegnet, erfährt er sich selbst als Ich in Beziehung – und der Betrachter ebenso.
Dieser Paradigmenwechsel – weg vom Objekt-als-Maske hin zum Objekt-als-Gegenüber – gibt der Kunstpraxis des Nutzers ihre einzigartige epistemische und ethische Dimension. Erkenntnis entsteht hier in der körperlichen Auseinandersetzung mit realen Widerständen, nicht in der Köpfen alleine; und Ethik ergibt sich aus der Beziehung und Verantwortung gegenüber dem, was man berührt und verändert. Die plastische Weltbeziehung wird so zu einer Form von Lebensphilosophie in Aktion: Kunst ist nicht mehr abgehobenes Symbolspiel, sondern verkörpertes Denken, eine Weise, in der Welt zu sein und mit ihr umzugehen. Sie fordert uns auf, die Welt nicht nur anzuschauen, sondern sie zu be-greifen – im doppelten Wortsinn – und die Folgen unseres Handelns wirklich zu tragen. Das macht diese Theorie plastischer Weltbeziehung zu einer herausfordernden, aber tief authentischen Sicht: Kunst als körperlich-materiale Erkenntnisform bringt uns die Welt näher, indem sie uns mit ihr verbindet – durch Berührung, durch Dialog, durch gegenseitige Veränderung. In einer Zeit, die von virtuellen Bildern und Symbolen überflutet ist, erinnert uns diese Praxis daran, dass “alles wirkliche Leben Begegnung ist”friedrich-verlag.de – und dass Erkenntnis letztlich aus der Berührung mit der Wirklichkeit erwächst.
Quellen: Platon (Höhlengleichnis)de.wikipedia.orgde.wikipedia.org; Magritte-Zitatdeutsch.wikibrief.org; Brecht (episches Theater)de.wikipedia.org; Phänomenologie der Leiblichkeitkubi-online.dekubi-online.de; Doubting Thomasde.wikipedia.org; Feedback-Systemespektrum.de; Gradient und Flussiu.pressbooks.pub; Ökologie und Gleichgewichtspektrum.despektrum.de; Buber (Ich-Du)de.wikipedia.org; Person/Maskeseele-und-gesundheit.de; McLuhan (Werkzeug als Verlängerung)die-tagespost.de.
Theorie plastischer Berührungskunst im Verhältnis zu klassischen Modellen..Quellen: