Kapitel: Ontologie des Atmens – Die plastische Realität des Funktionsteils Mensch.

Aus Globale-Schwarm-Intelligenz

Das Atmen ist keine Metapher – es ist die radikalste Form der Abhängigkeit. Kapitel: Neuroplastizität der Abhängigkeit – Vom Atem zur Entkopplung des Bewusstseins.

Es ist eine Handlung, die nicht gewollt werden kann, aber dennoch permanent stattfindet. In dieser fundamentalen Differenz liegt der Schlüssel zu einer plastischen Anthropologie: Der Mensch ist nicht das autonome Subjekt, das sich selbst aus sich selbst begründet – er ist ein Funktionsteil innerhalb eines offenen, atmenden Weltgefüges. Das Atmen verweist auf eine plastische Identität, die nicht abgeschlossen ist, sondern durchlässig, nicht statisch, sondern im Werden, nicht unabhängig, sondern radikal relationiert.

Im Gegensatz dazu operiert das westlich-zivilisatorische Subjektverständnis – historisch gewachsen in der Skulptur-Identität – in einer Ontologie der Unverletzlichkeit.

Diese „Atemautonomie“ behauptet eine Souveränität des Selbst über die Welt, die in der Realität des Körpers nicht existiert. Der Körper atmet, ohne gefragt zu werden. Der Körper stirbt, wenn der Atem aussetzt. Dieses physikalische Minimum und Maximum – zwischen Einatmen und Nicht-mehr-atmen – bildet die elementare Grenze plastischer Identität. Hier wirkt das 51:49-Prinzip als ontologische Differenzkraft: Der minimale Überschuss an Zugang, Offenheit, Aufnahmefähigkeit – genau jener winzige Asymmetriegrad hält das System lebendig.

Die Skulptur-Identität dagegen installiert ein mentales Referenzsystem, in dem das Ich sich von seinen körperlichen Grundlagen entkoppelt.

In dieser Welt wird nicht mehr geatmet, sondern es wird „so getan als ob“. Das Denken konstruiert sich selbst als Atemspender – eine Form symbolischer Aneignung, die ihren Ursprung in der Trennung von Körper und Geist hat. Diese Trennung ist kein theoretischer Fehler allein – sie ist eine zivilisatorische Katastrophe mit physikalischen Folgen: ökologische Zerstörung, soziale Dissoziation, neuronale Überlastung. Die psychische Verarbeitung operiert – bei fortgeschrittener Entfremdung – oft nur noch über das Stammhirn, reflexiv, angstbasiert, eingeengt auf Überlebensroutinen. Die Skulptur-Identität erzeugt neuronale Engführung.

Im Gegensatz dazu fordert die Ontologie des Atmens eine Rückbindung an das reale Körperereignis.

Sie bedeutet, die Grenze zwischen Innen und Außen nicht als Trennlinie, sondern als Membranzone zu verstehen. Atmen ist ein plastischer Prozess – nicht ein Besitz, sondern ein Verhältnishandeln: Zwischen Luft und Lunge, zwischen Welt und Organismus. Wer atmet, ist nicht isoliert – er ist in das Geschehen des Lebens eingespannt, in ein rhythmisches, asymmetrisches Austauschverhältnis, das kein starres Gleichgewicht kennt, sondern ein Oszillieren um das richtige Maß.

In diesem Sinn verweist das Atmen auf eine ethische Formverantwortung: Der Mensch darf sich seine Abhängigkeit nicht mehr als Schwäche auslegen, sondern als strukturelle Bedingung seiner Existenz – und damit als Ressource zur Neufassung von Weltverhältnissen. Die Ontologie des Atmens ist daher eine Absage an Autonomie-Mythen und Herrschaftssemantiken – und zugleich ein Aufruf, die plastische Wahrheit des Lebendigen zuzulassen: Wer atmet, ist schon Teil der Welt. Die Frage ist nicht, ob wir verbunden sind, sondern ob wir bereit sind, das auch zu fühlen.